Kleiner Kummer Großer Kummer
noch immer zitternden Händen das Gas anzündete: »Schönen Dank, Doktor. Ich dachte schon, es sei aus mit ihr. Wär’ das schrecklich gewesen. Ich könnte ja nicht ohne sie auskommen, Doktor. Der alte Streit und Krach würde mir fehlen.«
Ich mußte über Teds Sorge wegen seiner Frau lächeln. Es war allgemein bekannt, daß er an jedem Endpunkt seiner langen Fahrten ein Mädchen sitzen hatte, und daß, war er einmal daheim, er und seine Frau nichts taten, als sich - zum Mißfallen oder zum Vergnügen der verschieden veranlagten Nachbarn - zu streiten. »Natürlich bringt sie mich manchmal auf die Palme mit ihrem ewigen Hickhack, aber ich möchte doch nicht, daß ihr was passiert. Wir sind Weihnachten fünfundzwanzig Jahre verheiratet.«
»Ich weiß nicht, wie sie es so lange mit Ihnen ausgehalten hat«, lachte ich und versuchte, den Rest des Verbandes aufzuwickeln, der sich um meine Tasche verwickelt hatte.
»Oh!« schmunzelte Ted. »Sie können’s einem aber geben.«
»Ich glaube, Sie haben’s nötig«, stimmte ich zu, indem ich an mein Gespräch mit Sylvia dachte.
»Es ist alles eine Sorte, diese Frauen«, erklärte Ted aus den Tiefen seiner großen Erfahrung heraus. »Man muß ihnen nur Bewunderung entgegenbringen.« Er wärmte geschickt die Teekanne an und kam wieder auf das Thema zurück. »Sehn’se, es ist so. Sie stellt Ihnen ’ne Fleischpastete vor. Hart wie Stein. Jetzt dürfen Sie bloß nicht sagen, daß Ihre Zähne da nicht durchkommen, oder sie legt los, daß sie nie weiß, wann Sie nach Hause kommen, daß Sie nachts wegbleiben, und Gott weiß was noch. Dann müssen Sie sie nur wieder beruhigen, sehn’se. Sagen’se lieber: >Das ist mal wieder eine wunderbare Pastete, Mary, so eine feine bekommt man doch nie im
Restaurants und nächstes Mal wird sie sich noch mehr anstrengen, weil sie’s gern hat, wenn man ihr sagt, daß es schmeckt, sehn’se.«
»Ich sehe«, sagte ich. »So muß man es machen, ja?« Er drehte das Gas aus. »Sie können mir nichts mehr über Frauen erzählen«, erklärte er, »nicht Ted Jenkins. Auch ’ne Tasse?«
»Nein, danke, Ted«, lehnte ich ab. »Ich muß gehen. Geben Sie Ihrer Frau den Tee, und sagen Sie ihr, daß sie morgen in meine Sprechstunde kommt. Fahren Sie mich dann bitte heim.«
Wieder zurück in meinem Haus, fühlte ich mich schon weniger müde, und ich beschloß, den Rest meiner Besuche gleich zu erledigen. Den ganzen Nachmittag gingen mir Teds Worte nicht aus dem Kopf: »Man muß ihnen nur Bewunderung entgegenbringen!« Ich hätte gern gewußt, ob er recht hatte.
Als ich den Gartenweg entlangging, nachdem ich der kleinen Jenny Hicks die Fäden aus ihrer Blinddarmnarbe entfernt hatte, bemerkte ich einen großen neuen, schwarz schimmernden Allard vor der Tür des Nebenhauses, dessen Kühlerhaube hochmütig die Straße entlang zu blicken schien. Heraus kletterte mit seiner Tasche der smarte Doktor Archibald Compton. Ich würde ihn vollkommen ignoriert haben, wenn nicht die Bewohner des Hauses, in das er ging, meine Patienten gewesen wären. Ich fragte ihn, was er sich dabei dächte. Er sagte, daß man ihn gerufen habe, um nach einer jungen Dame zu sehen, die bei ihnen wohne. Ich war zwar skeptisch, machte aber keine Einwände, sondern ließ ihn mit seinem zur Begrüßung gezogenen lächerlichen steifen Hut stehen.
Als ich in meinem alten kleinen Wagen saß, der mir treu gedient hatte und den ich seit Jahren liebte, und den Allard hinter mir glänzen sah, sah ich ein, daß ich mich, wenn es einen Kampf mit Archibald Compton geben sollte, mit entsprechenden Waffen rüsten müßte. Es bestand kein Zweifel daran, daß man meinem Wagen nicht allein ansehen konnte, daß er einem Habenichts gehörte, sondern daß er auch nahe daran war, irgendwann in Stücke zu fallen. Ich würde mir in nächster Zukunft ein Modell anschaffen müssen, das eines erfolgreichen Arztes würdiger war.
Um vier Uhr war meine schlechte Laune, die sich wegen des verlorenen Schlafes noch gesteigert hatte, vollkommen vergangen. Ich fühlte wieder mein altes Selbst, und als ich nach Hause fuhr, überlegte ich mir schon Entschuldigungen für Sylvia wegen meines törichten Benehmens, und nahm mir vor, einige von Ted Jenkins’ Ratschlägen zu befolgen.
Als ich die Haustür öffnete, hörte ich die schrille, eifrige Melodie weiblicher Stimmen, die alle auf einmal sprachen. Ich steckte meinen Kopf durch den Türspalt des »Morgenzimmers« und stand erstarrt. Drei elegante junge Damen
Weitere Kostenlose Bücher