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Kleiner Kummer Großer Kummer

Kleiner Kummer Großer Kummer

Titel: Kleiner Kummer Großer Kummer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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meine Vormittagsbesuche zu erledigen, schritt ich mit Sylvia langsam dem Altar entgegen.
    Der Rest des Tages ist mir nur als eine unklare Folge von Händeschütteln, Trinksprüchen, scheuen Zärtlichkeiten und gewagten Späßen in Erinnerung, bei denen Sylvia, unbeschreiblich schön in dem eigens für sie von Michael Reed entworfenen weißen Brautkleid, der glanzvolle Mittelpunkt war und ich dagegen so unbedeutend, daß ich mich fragte, warum ich eigentlich dabei war. Nun, ich lieferte immerhin den Hintergrund für ihre Schönheit, hielt eine sehr kurze Rede und verschrieb Sylvias Onkel John etwas gegen seinen Hexenschuß.
    Unsere Flitterwochen verbrachten wir im Süden Frankreichs, und, abgesehen von den sonstigen Freuden, war in diesen zwei Wochen das Bemerkenswerteste, daß ich keinen einzigen kranken Menschen sah und das Telefon nur gebrauchte, um das Frühstück zu bestellen. Wir kamen an einem Mittwoch wieder zu Hause an, unseren Kopf voll froher Erinnerungen an sanfte, tintenblaue Nächte, faul im Sonnenschein genossene Pernods und das freie Leben an der Côte d’Azur. Man gab uns genau zwei Minuten, um in das normale Leben zurückzukehren.
    Faraday, der vor Antritt eines neuen Krankenhauspostens meine Vertretung übernommen hatte, öffnete uns die Tür, küßte Sylvia schallend und hätte auch mich vor lauter Wiedersehensfreude fast geküßt.
    »Viel zu tun?« fragte ich und hob einen der Koffer auf, die der Taxifahrer auf die Türschwelle geknallt hatte. Faraday schlug eine Hand an seine Stirn. »Ich werde verrückt«, sagte er. »Gott sei Dank, daß du zurück bist.«
    Ich wollte ins Haus gehen, als ich einen Griff an meinem Ellbogen spürte.
    »Hast du nicht etwas vergessen?« fragte Sylvia.
    Ich ließ meine Augen über die Koffer und Schachteln wandern. »Ich glaube nicht, Liebste.«
    Faraday flüsterte mir etwas ins Ohr.
    Ich stellte den Koffer wieder hin und hob Sylvia auf. In der Diele blickten uns ungläubig zwei Augenpaare entgegen. Das eine gehörte einem bleichgesichtigen Mädchen, das auf einem abgenutzten Koffer saß, und das andere einem gelackt aussehenden jungen Mann mit glänzendem schwarzem Haar.
    Durch dieses Publikum in Verlegenheit gebracht, suchte ich nach einem Platz, an dem ich Sylvia, die übermütig mit ihren Beinen in der Luft herumzappelte, niederstellen konnte. Weil sie mir unverwandt in die Augen sah, hatte sie noch nicht bemerkt, daß wir nicht allein waren. Sie zog meinen Kopf zu sich und legte ihre Lippen liebevoll auf die meinen.
    Faraday räusperte sich, und das Empfangskomitee blickte taktvoll an die Decke. Ich stellte Sylvia fest und schlicht auf die Erde und zog sie in das »Morgenzimmer«. Faraday folgte uns, und wir schlossen die Tür. »Nun«, begann ich, »willst du uns vielleicht aufklären. Zuerst könntest du mir zum Beispiel erzählen, wer all diese Leute sind. Du hast doch nicht etwa Logiergäste aufgenommen?«
    Faraday zündete sich eine Zigarette an. Ich bemerkte, daß seine Hände nicht allzu ruhig waren.
    »Es ist ganz harmlos. Das weibliche Wesen ist das Hausmädchen, das du dir durch die Stellenvermittlung besorgen ließest. Der Herr kam gerade einige Minuten vor dir herein und sagte, daß er dich wegen einer Angelegenheit von größter Wichtigkeit sprechen müßte. Ich bin gerade mit der Sprechstunde fertig und habe zwölf Besuche
    vor mir. Ich werde mich also jetzt auf den Weg machen, falls du nichts dagegen hast, alter Knabe. Wir können später erzählen, und mit dem größten Vergnügen der Welt werde ich dir die Schlüssel deines Königreichs zurückgeben, in dem man keine Mahlzeit in Frieden essen kann und bei dem es mich keineswegs überraschen würde, wenn ich mir ein Magengeschwür erworben hätte.«
    Faraday ging zur Tür, kam aber noch einmal zurück, um sich mein Gesicht zu betrachten.
    »Du siehst ziemlich blaß aus, alter Junge«, stellte er fest. »Es ist besser, sich in den Ferien nicht so zu verausgaben, weißt du!«
    Er küßte Sylvia noch einmal und war draußen.
    Ich bat Sylvia, das Mädchen mit nach oben zu nehmen und mit ihr zu verhandeln, und rief den jungen Mann herein.
    »Nun«, fragte ich und versuchte, mein Mißfallen über seine Erscheinung zu verbergen, »was kann ich für Sie tun?«
    Er streckte mir seine Hand entgegen. »Ich bin Doktor Compton«, sagte er, »Archibald Compton.«
    Wir schüttelten uns die Hände. »Und?«
    Er ging zum Fenster hinüber, wo der Regen an den Scheiben herunterströmte. »Es ist sehr nett hier in

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