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Kleiner Kummer Großer Kummer

Kleiner Kummer Großer Kummer

Titel: Kleiner Kummer Großer Kummer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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der Gegend.«
    »Außerordentlich. Wollen wir uns nicht setzen?«
    »Nein. Ich merke, daß ich mir eine sehr unpassende Zeit ausgesucht habe. Ich möchte Sie nicht aufhalten.«
    »Was kann ich für Sie tun?«
    »Lebhafte Praxis?«
    »Außerordentlich.«
    »Viel Patienten?«
    Eine schreckliche Ahnung begann in meinem Kopf aufzugehen. »Doktor Compton«, sagte ich etwas weniger freundlich, »ich kenne Sie kaum. Sie stellen sehr persönliche Fragen. Vielleicht können Sie mir sagen, warum Sie das wissen wollen.«
    Er sah auf seine Fingernägel. »Ich lasse mich hier nieder«, antwortete er. »Ich nehme nicht an, daß Sie traurig sind, einige Patienten zu verlieren.«
    Ich blickte ihn entsetzt an. »Wo?«
    »Gleich um die Ecke. Nummer fünfunddreißig.«
    »Doch nicht Johnsons altes Haus?« Das war praktisch neben meiner Türschwelle.
    »Stimmt.«
    Ich fuhr drohend auf. »Das können Sie nicht machen«, rief ich. »Die Vorschrift...«
    Er hob seine Hand. »Nichts mehr zu ändern«, sagte er. »Ich habe bereits mein Schild angebracht.«
     

2
     
    Das Hausmädchen kannte sich weder mit dem Gas noch mit den elektrischen Geräten, dem fließenden Wasser und der Wasserspülung auf den Toiletten aus. Den Staubsauger wagte sie vor Angst nicht anzurühren, vor dem elektrischen Herd zitterte sie, und wenn das Telefon läutete, verkroch sie sich in einer Ecke und bekreuzigte sich. Am ersten Tag hatte Sylvia ihr das Aufwaschbecken mit heißem Wasser gefüllt. Als sie nach einer halben Stunde zurückkam, schöpfte das Mädchen das schmutzige Wasser mit einer Tasse aus dem Becken und schüttete jede einzelne Tasse aus dem Fenster in den Garten. Als Sylvia ihr das Wunder vorführte, das sich ereignete, wenn man den Stöpsel herauszog, war sie fassungslos. Immer wieder schlich sie heimlich zum Ausguß, füllte ihn mit Wasser und beobachtete, wie es wieder verschwand.
    Meine Praxis war unter der Verwaltung von Faraday ein wenig durcheinandergeraten. Er war es gewohnt, Krankenhauspatienten zu betreuen, die schon durch die Hände der Hausärzte gegangen waren und nun seine speziellen Fachkenntnisse benötigten. Die gleichen Regeln hatte er in meiner Praxis angewandt, mit dem Resultat, daß die Vormittagssprechstunde zur Lunchzeit noch nicht beendet war und die Nachmittagssprechstunde bis neun Uhr dauerte. Es überraschte mich kaum, daß er mich für einen schrecklich überarbeiteten Sklaven des Staates hielt und sehr befriedigt zu seinem eigenen, weniger beschwerlichen, aber auch weniger lohnenden Posten zurückkehrte. Auf die Patienten hatte seine Methode sehr verschiedenartig gewirkt. Sie waren beeindruckt von seiner Freundlichkeit, seiner Besorgnis und seiner Geduld, die sie glauben ließ, er habe für jeden einzelnen von ihnen alle Zeit der Welt. Weniger einverstanden waren sie mit seiner Art, sie auszuziehen und vollkommen, einschließlich Blutprobe, zu untersuchen, wenn sie nur einmal kurz während der Sprechstunde hereinschauten, um sich ihre wöchentliche Medizinflasche, die sie nun schon seit Jahren erhielten, abzuholen oder, was ihnen wichtiger war, die Zeitschriften im Wartezimmer zu lesen und mit anderen Patienten zu schwatzen. Erschöpfende Untersuchungen des Nervensystems waren Wasser auf Faradays Mühle, aber es waren sicher schon lange Jahre vergangen, seit er einmal einen Abszeß geöffnet oder einen Fall von Masern festgestellt hatte. Auch war er es nicht gewohnt, in die Ohren hineinzusehen, und eine Entzündung, die er täglich mit Antibiotika behandelt hatte, verschwand sofort, nachdem ich ein zusammengepreßtes Wattekügelchen aus der Tiefe herausgeholt hatte.
    Zu ihrem größten Entsetzen verordnete er all meinen alten Männern, ihre geliebte Pfeife und Tabak aufzugeben (»das Rauchen hilft mir, die Ruhe zu behalten, Doktor«), und riet er den jungen Müttern ernst und eindringlich, kein Mitleid mit ihren kleinen Daumenlutschern zu haben. Er hatte sie alle durch seine machtvolle Persönlichkeit und sein dramatisches Benehmen so erschreckt, daß sie alles, was er anordnete, befolgt hatten, aber innerhalb einer Woche nach meiner Rückkehr nuckelten die Kinder wieder glücklich an ihren Daumen und die Rentner an ihren Pfeifen.
    Als alles wieder im richtigen Gleis lief und ich die Zügel wieder fest in der Hand hatte, schmeichelte es mir sehr, zu sehen, daß die weitaus meisten Patienten sich auf »ihren« Doktor verließen, mehr als auf irgendeine qualifizierte Persönlichkeit, die hinter dem Schreibtisch des Arztes

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