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Kleiner Kummer Großer Kummer

Kleiner Kummer Großer Kummer

Titel: Kleiner Kummer Großer Kummer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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seit vierundzwanzig Stunden konnte ich mich entspannen, und ich war ärgerlieh, daß Sylvia, die die ganze Arbeit gehabt hatte, nun doch nicht das gewünschte Mädchen bekam.
    Humphrey Mallow blickte mich seltsam an.
    »Ist etwas nicht in Ordnung?« Kalter Schweiß lief mir den Rücken herunter.
    »Doch, doch! Aber etwas ziemlich Seltenes ist passiert.«
    Ich wartete, kaum fähig zu denken. Das Baby, Sylvia...
    »Es gab zwei Babys«, sagte er und betrachtete seine Fingernägel. Ich setzte mich, unfähig zu sprechen.
    »Eines muß hinter dem anderen gelegen haben. Ich hatte das zweite niemals gefühlt. Sie sind beide großartig. Nicht sehr groß, aber prächtig. Unglaublich! In Arztfamilien gibt es nie einen normalen Fall, da geschehen die seltsamsten Dinge.«
    »Das zweite?« fragte ich. »Ist es ein Junge oder ein Mädchen?«
    »Ich weiß es wirklich nicht.« Mallow schüttelte den Kopf. »Ich war zu überrascht, um darauf zu achten.«
    »Entschuldigen Sie mich.« Unhöflich, sogar ohne ihm zu danken, rannte ich davon.
    Auf Sylvias Station schrien die Babys im Säuglingszimmer nach ihrer Morgenmahlzeit. Eine Lehrschwester trug ein Tablett mit Flaschen den Flur entlang, eine Frau rief ihr aus der Küche etwas nach.
    Eine Schwester schloß leise hinter sich die Tür von Sylvias Zimmer. Als sie mich sah, nickte sie mir zu, öffnete die Tür wieder und ließ mich eintreten.
    Sylvia, noch ein wenig benommen von der kurzen Narkose, die man ihr gegeben hatte, erblickte mich, als ich dichter an ihr Bett trat.
    Sie streckte die Arme nach mir aus.
    »Liebling«, flüsterte ich, »was ist das zweite?« Ich brauchte mir nur das Lächeln auf ihrem Gesicht anzusehen, um die Antwort zu erhalten.
    »Blond?« fragte ich.
    Sie nickte.
    »Wie steht es mit dem Pferdeschwanz?«
    »Laß ihr Zeit.«
    Wir waren überglücklich, und eine Weile konnte keiner von uns sprechen.
    »Wie kommt das nur, daß es kein Mensch geahnt hat?« fragte Sylvia etwas später.
    »Daß da zwei Babys waren?«
    Sie nickte. »Ich bin noch nicht ganz über den Schock hinweg.«
    »Es kommt zwar selten vor, aber manchmal geschieht es, daß eins hinter dem anderen liegt, so daß man es nicht fühlen kann.«
    »Es ist fast zu schön, um wahr zu sein.«
    »Du bist ein prächtiges Mädchen«, lobte ich sie.
    Sie wurde nach der anstrengenden, schlaflosen Nacht schläfrig. »Du wirst noch ein zweites Bettchen besorgen müssen. Meinetwegen einen Wäschekorb... Ich habe nichts dagegen... und noch Hemdchen und Jäckchen... Liebster?«
    »Ja?«
    »Tessa Brindley ist tot, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Ich wußte, daß du mich nicht aufregen wolltest. Aber ich vermutete es. Du vergißt, daß ich dich liebe.«
    Ich wußte, daß sie die Wahrheit sprach. Zum erstenmal war ich sicher, daß ich mir unnötige Sorgen darüber gemacht hatte, daß das Leben als Arztfrau für sie zu beschwerlich sein würde.
    Sie las meine Gedanken.
    »Mit Wilfred hätte ich niemals glücklich werden können«, gestand sie.
    »Du bedauerst es nicht?«
    »Kein bißchen. Erzähl es bitte keinem, aber es war ziemlich eintönig, ein Mannequin zu sein.«
    »Jetzt wirst du keine Zeit mehr zur Langeweile haben.«
    »Das macht mir nichts aus. Ich freue mich darauf. Die Praxis, die Leute, die nach meinem Rat fragen...« Sie war schon fast eingeschlafen.
    »Das Telefon?« fügte ich hinzu.
    »Auch das. Ich möchte meine Kinder sehen.« Sie schloß ihre Augen.
    »Ich werde es der Schwester bestellen«, versprach ich ihr, aber während ich zur Tür ging, schlief sie schon fest.
    Ich setzte mich in den Lehnstuhl und wartete darauf, daß sie aufwachen würde.
    Humphrey Mallow kam herein, um sich zu verabschieden. Das Sonnenlicht strömte über die blaue Decke und schimmerte auf dem blanken Fußboden. Die Nachtschwestern rüsteten geräuschvoll zum Aufbruch. Die Frühstückswagen ratterten den Korridor entlang, und die Oberschwester schickte Kaffee und Toast zu mir herein. Die Babys schrien hungrig und beruhigten sich dann wieder. Die Putzfrau kam mit ihrem zahnlosen Grinsen und ihrem Schrubber herein.
    Es war mitten am Tag, als Sylvia auf wachte. Zusammen betrachteten wir unseren Sohn und unsere Tochter; winzig, runzlig und häßlich, aber die wunderschönsten Babys, die ich je gesehen habe.
    Leer vor mich hingrinsend, ging ich schwungvoll den gummibelegten Korridor entlang, hüpfte fröhlich die Stufen hinunter, pfiff tonlos durch die Empfangshalle und blinzelte hinaus in den Sonnenschein.
    Gegenüber der Klinik warnte

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