Kleiner Musicalratgeber für Anfänger und Fortge
»Operngeists«) nur angedeutet haben: Der entstellte Mann ist Opfer seiner Umstände und wurde von seiner Umwelt zu dem gemacht, was er ist. Natürlich entschuldigt das nicht seine Taten, aber es lässt sie verständlicher erscheinen und macht ihn menschlich. Und wenn Christine schließlich im mitreißend-emotionalem Finale der Show vor die endgültige Wahl zwischen den beiden um sie buhlenden Männern gestellt wird, dann bricht einem das Herz, wenn sie sich für ein vermutlich sorgenfreies Leben mit dem jungen, schönen Vicomte entscheidet und das Phantom als gebrochenen Mann zurücklässt. Zugegeben –man selbst hätte sich wahrscheinlich nicht anders entschieden, aber man konnte ihr Zögern bei der Wahl sehr gut nachvollziehen.
Der Tod: Androgyner Verführer mit tödlicher Intention
Er tritt in Erscheinung und alles hält den Atem an. Er sieht aber auch gut aus: Lange wallende blonde Mähne, zierliche Gestalt, die Augen mit dickem Kajal hervorgehoben und Feuer im Blick, der zugleich auch eiskalt wirken kann. Okay, okay, ich gebe zu, ich denke an die Urbesetzung des Todes, nämlich an Uwe Kröger. Uwe als Tod ist eine weitere meiner »Guilty pleasures«, aber das soll jetzt hier nicht Thema sein.
In der ursprünglichen Rollenbeschreibung als »androgyne Popfigur« bezeichnet, hat Elisabeth von Anfang an nur einen Namen für ihn: »Schwarzer Prinz«. Der Name passt wie die Faust aufs Auge. Als ewiger Widersacher und Antagonist ist er das genaue Gegenteil Kaiser Franz Josephs. Die Moral der Menschenwelt kümmert ihn nicht; ihn interessiert nur eins: Seine Elisabeth, und er ist bereit, sie nach allen Regeln der Kunst zu verführen, da er sie um jeden Preis zu sich holen will.
Seine Zielgerichtetheit und die Skrupellosigkeit, mit der er vorgeht, üben ihren seltsamen Reiz nicht nur auf die Kaiserin aus. Auch das Publikumist fasziniert und folgt dem »Ménage à trois« zwischen Elisabeth, ihrem Mann und ihrem »Geliebten« gebannt bis zu seinem tragischen Höhepunkt. Wenn der Tod die Kaiserin schließlich bei »Der Schleier fällt« mit einem leidenschaftlichen Kuss zu sich holt, dann kann man sich des Gedankens nicht erwehren, dass Sterben vielleicht gar nicht so schlimm ist – wenn der Tod so aussieht. Todesart: Zu Tode geknutscht. Damit kann man doch wahrlich leben!
Jean Valjean: Sträfling 24601 – Nicht vergeblich war sein Schmerz
Wir befinden uns in Frankreich zur Zeit Napoleons. Allein die Not macht den aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Jean Valjean zum Dieb –und doch wird ihm die Entwendung eines Brotes zum Verhängnis. Der Mundraub hat nämlich Konsequenzen, die Jean Valjean sein Leben lang verfolgen werden. Zunächst wird er zu neunzehn Jahren harter körperlicher Arbeit in den Steinbrüchen verurteilt, doch auch nach seiner Freilassung ergeht es ihm schlecht. Durch einen gelben Pass und die auf den Körper gebrannte Häftlingsnummer stigmatisiert, gelingt es ihm nicht sofort, ein rechtschaffendes Leben aufzubauen, aber Valjean beisst sich durch. Die Begegnung mit einem barmherzigen Bischoff bringt ihn wieder auf den rechten Weg: Valjean bestielt diesen und wird dabei erwischt, doch der Gottesmann schenkt ihm das gestohlene Silber und nimmt ihm das Versprechen ab, dieses gut zu nutzen zum Aufbau eines rechtschaffenen Lebens. Der geläuterte Valjean gehorcht aufs Wort, wird schließlich sogar zum Bürgermeister und zum Ehrenmann. Er nimmt sich einer jungen Waisen an, wird ihr ein guter Vater, der stets selbstlos für das Wohl seines Kindes eintritt. Doch die Vaterliebe geht noch weiter: Er ist sogar bereit, für sie und ihre glückliche Zukunft mit dem Mann, den sie liebt, zu sterben! Nur deshalb geht er auf die Barrikaden. Bemerkenswert außerdem: Trotz seiner schlechten Erfahrungen mit der Justiz hat er sich ein tiefes Gerechtigkeitsempfinden bewahrt.
Valjean ist also jemand, den wir für seine Selbstlosigkeit, seinen Mut, seine Tapferkeit und seine Barmherzigkeit bewundern. Wie kann jemand, dem so viel Schlechtes wiederfährt, nur so integer und zutiefst gut sein? Das ist wohl die Frage, die sich jeder stellt, der »Les Misérables« sieht. Valjean ist ein Vorbild, sein Charakter eine Ermutigung, nicht zu verzagen wenn das Schicksal einem übel mitspielt und immer danach zu streben, das Beste aus seinen Möglichkeiten zu machen.
Rund ums Musical – Events &Merchandise
Darf es auch mal was Anderes sein?
L EUTE denken oft, jemand der Musical mag, verbringt einen Großteil seiner Zeit in
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