Kleiner Musicalratgeber für Anfänger und Fortge
Anfang des Jahres 2010. Damals spielte »Tanz der Vampire« in Oberhausen, 45 Autominuten von mir entfernt
Als dann die Dernière herannahte, entschied ich mich, dass es bestimmt eine tolle Erfahrung wäre, alle Shows der letzten Spielwoche in Oberhausenzu besuchen. Im August letzten Jahres schien das auch noch ein guter Plan zu sein. Von Dienstag bis Sonntag sah ich mir also alle acht Vorstellungen an, und zwar aus Reihe 1 Mitte. Verrückt? Bestimmt. Unvernünftig? Mit Sicherheit. Finanzieller Selbstmord? Oh ja. Aber man gönnt sich ja sonst nichts und außerdem musste man ja die Gunst der Stunde nutzen, solange man die Blutsauger noch in der Nähe hatte. Wenn man schon wahnsinnig ist, muss man diesen Wahnsinn nur gut rationalisieren können.
Also folgte die letzte Woche der Oberhausener Spielzeit einer strengen und immer gleich bleibenden Routine: Erst arbeiten, dann kurz nach Hause und was essen sowie umziehen, dann ab ins Theater, wo mich fünf Mal Graf Jan(Ammann) und drei Mal Graf Kevin (Tarte) zum Tanz einluden. Mit von der Partie waren dabei meine von mir mit akuter Musicalitis infizierte Freundin sowie der meist komplett ausverkaufte Publikumssaal. Hatten wir anfangs geglaubt, wir wären die einzigen Anhänger, die verrückt genug waren, sich eine solche Überdosis zu geben, so wurden wir bald eines Besseren belehrt: Tatsächlich gab es eine nicht unerhebliche Anzahl von Leuten, die die unstillbare Gier mindestens ebenso fest gepackt hatte wie uns. Schon beruhigend zu wissen, dass es noch Andere gab und man im Fall der Fälle nicht vollkommen allein eine Gummizelle bewohnen müsste.
Rückblickend auf diese Woche, die ihren krönenden Abschluss im Dernièren-Sonntag fand, lässt sich sagen, dass ich eine ganze Menge einzigartiger Erfahrungen gemacht und jede Menge interessanter Leute getroffen habe. Da war etwa der Mann in Reihe 1, der dem Dirigenten vor Beginn des Stückes eine kleine gelbe Quietscheente vor die Nase hielt und ihm gleichzeitig fachmännisch noch ein paar wohlgemeinte Ratschläge gab, wie das Orchester am Effizientesten zu leiten sei. Außerdem trafen wir eine Frau mittleren Alters, die eine große Plüschmaus mit sich führte und diese während des Stückes zum Takt der Musik auf ihrem Schoß tanzen ließ.
Sehr irritierend war ebenfalls die junge Frau, die ihren Blick während des gesamten Stücks stur auf eine Stelle gerichtet hielt, unabhängig davon, ob dort gerade etwas passierte oder nicht. Es war schon etwas surreal – und nicht zu vergessen, gruselig – zu beobachten, wie sie nur zum Leben erwachte, wenn Graf Jan die Bühne betrat. Jedenfalls hatten wir während dieser Momente die Gewissheit, dass sie sich nicht etwa, wie zwischenzeitlich schon befürchtet, in einem Wachkoma befand. Erwähnenswert ist auch die blondierte, dauergewellte Frau um die 50 in Reihe 1 rechts, die bei der Dernière während der Gier eine lange, silbrige Kralle auf ihren Zeigefinger setzte und damit während des Songs ominöse Bewegungen ausführte. Da wurde es fast spannender, ihr zuzusehen als dem Geschehen auf der Bühne zu folgen. Selbstverständlich wurde während der finalen Takte des Grafensolos das Theater geflutet und die Tränen stilgerecht mit einem Spitzentaschentuch getrocknet. Nach der Gier begannen dann die hektischen Vorbereitungen auf den Schlussapplaus: Nach und nach zog sie Geschenkefür die Darsteller aus der mitgebrachten Tasche und reihte sie liebevoll auf der Balustrade vor sich auf: Ob Pralinen oder Gummibärchen – alles war vertreten. Dass es dabei streng untersagt war, solche Dinge zu werfen war ihr herzlich egal.
Ein Nervenjob für die Theatermitarbeiter. »Sie glauben nicht, wie froh wir sind, wenn heute die letzte Vorstellung gelaufen ist«, erzählte mir eine Mitarbeiterin erschöpft, die gerade Dienst im Saal schob, als ein paar Freunde und ich in der Pause der Mittagsvorstellung den Rosenregen am Ende der Matinée vorbereiteten. Die Erlaubnis der Theaterleitung für den geplanten rot-weißen Rosenregen zu erhalten war überhaupt kein Problem – nur schade, dass im Theater offensichtlich niemand hierzu Informationen hatte. »Es dürfen überhaupt keine Rosen geschmissen werden, weder Mittags noch Abends«, informierte uns ein Mitarbeiter, um dann, ein paar aufreibende Minuten später, von jener bereits oben erwähnten Kollegin eines besseren belehrt zu werden. »Rosen sind okay – aber bitte keine Gummibärchen oder Schlüpfer«, führte sie aus, was zu geschockten
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