Kleines Herz in Not
Dachboden im Auge. Aber es war niemand zu sehen. An der offenen Tür blieb er stehen und lauschte. Drinnen waren Stimmen zu hören. Vorsichtig warf er einen Blick hinein. Und was er dort sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Ein ihm unbekannter Mann lehnte mit dem Rücken an einer leeren Pferdebox. In einer Hand hielt er eine Whiskeyflasche, aus der er gerade einen großen Schluck nahm, und in der anderen hatte er ein Feuerzeug, das er drohend an- und ausmachte.
Thomas fluchte unterdrückt, als er daran dachte, was ein brennendes Feuerzeug in einer Scheune voller Heu alles anrichten konnte.
Hinter dem Mann entdeckte er Davy, der an einen Pfosten gebunden war. Mit großen, angstvollen Augen blickte der Junge von dem Fremden zu Cheyenne und wieder zurück. Am liebsten wäre Thomas in die Scheune gestürmt, um ihn und Cheyenne zu retten. Aber er riss sich zusammen. Mit Ungeduld war keinem gedient. Er musste planmäßig vorgehen.
Cheyenne stand mit dem Rücken zu Thomas. Sie hatte die Hände in die hinteren Taschen ihrer Jeans geschoben und wirkte ziemlich lässig. Aber Thomas sah, dass ihr ganzer Körper unter Spannung stand. Er lauschte angestrengt und konnte die Unterhaltung zu seiner Erleichterung auch gut verstehen.
Der Mann lachte höhnisch. „Falsch, Miststück. Es wird keiner kommen. Ich bin so lange um den Suchtrupp herumgeschlichen, bis ich wusste, was los war. Dann hat dein Bruder gesagt, dass du auf dem Weg zur Ranch bist. Ich habe das Gerücht verbreitet, dass irgendjemand einen kleinen Jungen gesehen hat, der per Anhalter auf dem Highway zum Independence Pass unterwegs war." Wieder dieses höhnische Lachen. ,,Sie waren so einfach hereinzulegen. Wie dumme Schafe liefen sie los." Er trank einen großen Schluck aus der Flasche. „Und du hast nicht einmal gemerkt, dass ich dich auf dem Weg hierher überholt habe. Der Junge ist ein Stück mit dem Bus gefahren, musste dann aber aus steigen und ist zu Fuß weitergegangen. Er hat sich so gefreut, dass jemand bereit war, ihn hierher mitzunehmen."
Cheyenne blickte ihn ruhig an. „Was wollen Sie, Mr. Karger?" Thomas ging ein Licht auf. Der Name sagte ihm etwas. Natürlich, das war der Mann, von dem ihm Cheyenne in New York erzählt hatte. Der Mann, der seinen Stiefsohn misshandelt hatte.
Karper zeigte mit der Flasche auf Cheyenne. Seine Hände zitterten. „Du hast mir eine Menge Schwierigkeiten eingebracht, du Miststück. Deine Lügen bei der Polizei. Und auch den Jungen hast du zum Lügen angestiftet. Die vom Jugendamt haben ihn abholen lassen. Ein Glück, dass wir den los sind, habe ich gesagt, aber meine Frau hat pausenlos geheult. Da musste ich ihr einfach zeigen, wer der Mann im Haus ist." Wieder trank er einen Schluck und funkelte Cheyenne finster an. „Ich habe sie nur ein bisschen verprügelt, nicht schlimm, aber sie ist einfach abgehauen. Und nicht nur das, sie hat auch bei meinem Boss noch ein Riesentrara gemacht, und ich war meinen Job los. Deine Schuld." Er nahm noch einen Zug aus der Flasche und wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab. „Du schuldest mir was."
Cheyenne blieb ganz ruhig. Es brachte nichts, ihn irgendwie zu provozieren. „Das hat mit Davy überhaupt nichts zu tun. Lassen Sie ihn gehen." Ihre Stimme zitterte nur einmal - als sie den Namen des Jungen aussprach.
Thomas sah rot. Noch nie zuvor hatte er den Wunsch gehabt, jemanden zu schlagen. Jetzt hatte er ihn. Aber er ermahnte sich zur Ruhe, auch wenn es ihm schwer fiel. Jetzt wie ein Berserker in die Scheune zu stürmen hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Denk nach, befahl er sich, lass dich nicht von deinen Gefühlen überrumpeln. Er musste sie irgendwie dort herausholen. Worth und die anderen würden nicht rechtzeitig kommen.
Vorsichtig machte Cheyenne einen Schritt auf den Mann zu. Eine Hand hatte sie noch in der hinteren Tasche der Jeans. Er entdeckte, dass sie verzweifelt versuchte, ein kleines Taschenmesser mit einer Hand zu öffnen, ohne es fallen zu lassen.
Wieder wies der Mann anklagend auf Cheyenne und sagte mit undeutlicher Stimme: „Du hättest mich nicht anzeigen dürfen, Süße. Jetzt muss ich dich bestrafen. Dich und das Balg da." Karper lachte irre. Er machte das Feuerzeug an und blickte starr in die Flamme. „Ich liebe brennende Kinder. Und brennende Mütter natürlich auch."
Thomas ballte die Hände zu Fäusten. Nur mit äußerster Willensanstrengung gelang es ihm, einen klaren Kopf zu behalten. Wie sollte er diesen Mann bloß
Weitere Kostenlose Bücher