Kleines Lexikon der Reise-Irrtuemer
uncharmant und man solle sie nur besuchen, wenn es sich wirklich nicht vermeiden lässt. Dass diese Meinung auch unter Frankfurtern sehr verbreitet ist, finde ich unverständlich. Sie sollten sich was schämen! Und zwar nicht für Ihre Stadt, sondern für Ihre Unkenntnis.
Frankfurt hat unzweifelhaft eine Menge schöner Bauwerke und Erlebnisse zu bieten: Es gibt den Römer, das aus dem Mittelalter stammende Rathaus und heutige Frankfurter Wahrzeichen. Es gibt Hochhäuser, die eine eindrucksvolle Skyline bilden, tagsüber und nachts. Auf den Main Tower kann man hinauffahren und hat von oben einen tollen Ausblick. Es gibt ein großes Opernhaus und bedeutende Kunstmuseen. Es gibt die Paulskirche, in der 1848-49 das erste deutsche Parlament tagte. Und, und, und. Detaillierte Touristentipps findet man in Frankfurt-Reiseführern, die gibt es nämlich auch, liebe Frankfurter, und zwar in fast allen großen Reiseführer-Reihen, ob Merian, Baedecker oder Marco Polo.
Zu meinen persönlichen Frankfurt-Tourismus-Favoriten gehören Bootstouren auf dem Main. Dafür lachen Frankfurter mich gern aus: »Ja, ihr Hamburger braucht nur Wasser und ein Schiff und schon fühlt ihr euch wohl!« Aber die Tour, auf der ich einmal mitfuhr, beeindruckte mich aus vielen Gründen. Einer davon war dieser: Als unterwegs ein Mit-Passagier einen Schlaganfall erlitt, handelte das Bordpersonal bewundernswert ruhig, professionell und herzlich. Der Kapitän änderte mal eben die Route, schwupps war der Patient im Universitätskrankenhaus, das sich gleich am Mainufer befindet, und kaum einer von den anderen Passagieren hatte etwas mitbekommen. Touristenservice in höchster Perfektion!
Genauso wie fast jeder Berliner, Münchner, Bremer oder Erfurter sollte meiner Meinung nach auch jeder Frankfurter ein Touristenprogramm auf Lager haben, einschließlich offizieller Highlights und persönlicher Spezialtipps. Er sollte seine Empfehlungen auf Nachfrage freudig präsentieren – so etwas nennt man Gastfreundschaft, und es macht nebenbei auch noch viel Spaß. Los, ran an die Hausaufgaben!
Gleiches würde ich auch Hannoveranern, Bottropern, Delmenhorstern und anderen raten, die gern behaupten, ihre Stadt hätte fast nichts oder gar nichts Sehenswertes zu bieten.
Denn jeder Ort der Welt ist eine Reise wert. Jedes Gebäude, jeder Platz, jeder Garten, jede Brücke, jedes Einkaufszentrum, jeder Parkplatz und jede Straßenlaterne sagt etwas über die Menschen aus, die sich auf und in ihnen und um sie herum bewegen. Jeder Ort, jede Landschaft ist einzigartig. Und deshalb ist jede Reise eine Bereicherung.
In Lissabon lebte ich eine Zeit lang in der historischen Unterstadt, der berühmten Baixa, und wenn ich davon erzähle, sind die Reaktionen immer gleich: »Oh, wie toll!« Später wohnte ich in einem Lissabonner Vorstadtviertel, das aus gleichförmigen Hochhausneubauten bestand. Wenn ich dies erwähne, ernte ich mitleidige Blicke und Kommentare à la: »Na ja, das war sicher sehr preisgünstig.« In Wirklichkeit habe ich im Zentrum und am Stadtrand ungefähr gleich viel bezahlt. Und es waren beides gleichermaßen wertvolle Erfahrungen für mich. Weil in der Vorstadt viel mehr Menschen leben als in der Baixa, habe ich dort mehr über das Leben gelernt. Seitdem liebe ich es, auf Reisen durch reine Wohnviertel fernab der Stadtzentren und Szeneviertel, der Hotelsiedlungen und Strände zu schlendern. Dass jeder Ort sehenswert ist, gilt meiner Ansicht nach insbesondere für die Orte, bei denen man zwei- oder dreimal hinschauen muss, um ihre Sehenswertigkeit zu erkennen.
FRANZOSEN SPRECHEN KEINE FREMDSPRACHEN
Wie soll das bloß klappen?, fragte ich mich, als ich zum ersten Mal ins ländliche Frankreich fuhr. Auf meinem Programm standen Recherchen für eine Reportage, und so etwas geht nicht ohne Gespräche. Das Klischee, allzu viele Franzosen seien zu arrogant oder zu blöd, um Englisch zu sprechen, hatte ich, das muss ich gestehen, verinnerlicht. Ich wusste zwar: In Paris kommt man wunderbar mit Englisch zurecht, die Hauptstadtbewohner verstehen und sprechen Englisch so gut, wie es sich in einer Metropole gehört. Auch in Marseille und an der Côte d’Azur hatte ich positive Erfahrungen mit der Verständigung auf Englisch gemacht. Aber Metropolen und touristische Regionen sind nie ein Maßstab für den Rest des Landes.
Nun sollte die Reise in die Drôme gehen, ein Département am Ufer der Rhône im Südosten Frankreichs (übrigens ein ganz zauberhafter Flecken mit
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