Kleines Lexikon der Reise-Irrtuemer
Prozent. Offizielle Stellen zählten auf den Kanaren über 700000 Walbeobachtungstouristen jährlich. Der Beobachtungstourismus ist geregelt durch Tierschutzgesetze und -bestimmungen, die von der Kanarischen Regierung erlassen wurden. An den Schiffen autorisierter Anbieter von Walbeobachtungsausflügen flattert eine gelbe Flagge, auf der ein Rettungsring, zwei Wale und die Aufschrift »Barco Azul« zu sehen sind.
Als besonders streng und vorbildlich gelten die neuseeländischen Vorschriften. Schon seit 1978 gibt es in Neuseeland ein Gesetz zum Schutz der Meeressäuger. Auf dieser Basis kam im Laufe der Jahrzehnte – und im Zuge immer neuer Erkenntnisse – ein umfassendes Regelwerk zusammen. So dürfen in einem 200 Meter weiten Umkreis von Meeressäugern keine Schiffsmotoren laufen. Boote müssen grundsätzlich einer im Voraus geplanten Route folgen und dürfen, wenn Delfine gesichtet werden, nicht in deren Richtung abweichen. Es ist nicht erlaubt, Informationen mit den Besatzungen anderer Schiffe auszutauschen, um die Wahrscheinlichkeit von Delfinbegegnungen zu steigern. Und Passagiere auf Beobachtungsbooten dürfen in der Nähe von Meeressäugern keine lauten Geräusche von sich geben. Trotz dieser und vieler weiterer Einschränkungen des Walbeobachtungstourismus finden in Neuseeland sehr eindrucksvolle Touren statt. Und wer daran teilnimmt, kann sicher sein, dass er etwas Gutes tut.
DIE ZUKUNFT DES REISENS IST LANGWEILIG
Was früher als Abenteuer- und Luxusreise galt, ist heute ein gewöhnlicher Urlaub. Die Wahrscheinlichkeit, den deutschen Nachbarn zufällig in Palma de Mallorca oder am New Yorker Broadway zu treffen, wird immer höher. Das Reisen in entlegene Gebiete wie Tibet oder die Antarktis wird immer unkomplizierter und komfortabler. Immer häufiger gibt es Tage, an denen mehr als 100 Menschen auf dem Gipfel des Mount Everest stehen. Und dank handlicher Navigationsgeräte muss man sich heutzutage kaum noch irgendwo verfahren oder verlaufen.
Dies alles führt dazu, dass viele Menschen die Welt als immer kleiner und unspektakulärer wahrnehmen. Erfreulich ist das für jeden, dem globale Geschäfte das Wichtigste im Leben sind, sowie für alle, denen Weite, Fremde und Unüberschaubarkeit mulmige Gefühle bereiten. Unangenehm ist die Wahrnehmung, die Welt werde immer kleiner, hingegen für diejenigen, die sich gern als Entdecker sehen, die Überraschungen mögen, neue Erfahrungen schätzen, das Fremde aufregend finden und Aufregung willkommen heißen. Viele von ihnen meinen, das Reisen werde immer langweiliger.
Um auch in Zukunft das schöne Gefühl noch einmal zu spüren, die Welt sei voller Geheimnisse, die es reisend zu enthüllen gilt, hilft es meiner Erfahrung nach am besten, einfach mal an der eigenen Haustür loszuwandern. Ein Wochenende lang oder gleich noch länger, immer in eine Richtung oder im kilometerweiten Kreis. Per Fahrrad funktioniert es auch, zu Fuß aber noch besser: Was für Sensationen es da zu entdecken gibt! Nie gesehene Kröten, kurios krächzende Vögel, virtuose Spinnen. Duftende Kräuter und Blumen, märchenhafte Farne und Moose, vielfarbige Erden. Beeindruckend schöne, ungewöhnliche, praktische, unglaublich hässliche, auf jeden Fall aber bemerkenswerte Architektur (siehe hierzu auch » FRANKFURT am Main ist keine Reise wert«). Plätze, Wohn- und Bürohäuser, Straßen, Wege, Trampelpfade. Verlassene Hallen und hochmoderne Industriegebiete, Kleingartenvereine und Einkaufszentren. Bäche, Flüsse, Hügel, Berge, Weiten, Wiesen. Wellen auf dem Meer. Morgen-, Mittag- und Abendlicht, jeden Tag anders. Das klingt kitschig? Ja, so ist die Wirklichkeit, direkt vor der Haustür. Und wenn es schon hier so viel Neues und Überraschendes zu sehen, riechen, hören, schmecken, fühlen, erleben und erfahren gibt: Wie aufregend muss dann erst die große weite Welt sein? Und sie wird es immer bleiben.
Wer jeden Tag eine Fläche von zehn Quadratkilometern erkunden wollte, wäre 98 Jahre lang ununterbrochen unterwegs, nur um Deutschland komplett kennenzulernen. Und er müsste sich nicht einen Tag langweilen.
ÜBER DIE AUTORIN
N ELE -M ARIE B RÜDGAM , geboren 1967, studierte Portugiesisch, Spanisch und Lateinamerika-Studien in Hamburg, Lissabon und Madrid, anschließend machte sie eine Ausbildung zur Redakteurin. Sie arbeitet als Sachbuchautorin und als Reisejournalistin für Publikationen wie abenteuer und reisen, Handelsblatt, Hörzu, Prinz oder Urlaub perfekt. Die Autorin wanderte in
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