Klemperer, Viktor
behielte. Georg also könnte derart wirklich sicher sein, u. ich säße hier unangefochten u. könnte von der Pension existieren. Nur: für die erste Hypothek wäre dann alle Rückzahlungsmöglichkeit geschwunden. Und wir säßen doch hier als Kleinbürger im Engen ohne jede Möglichkeit wieder hochzukommen.
– – Ich will mich nun auch umsehen, ob ich nicht im Ausland publicieren kann. Auf Sonnabend habe ich mich bei * Stepun angesagt. Die uralte Schreibmaschine Remington 3 – * Jule Sebbas abgelegtes Vorkriegsgeschenk – ist vom Boden geholt, u. sobald ein neues Farbband aufgetrieben ist (mit 35 mm nicht mehr im Handel, aus Hannover bestellen!), fange ich mit Üben an. Aber alles ohne Hoffnung. – Gestern Abend waren * Wieghardts bei uns, eine Art Condolenzbesuch. * Blumenfeld klagte mir vor einiger Zeit, wie bitter es sei, daß kaum ein Kollege an seinem Hinauswurf Anteil nehme. Ich sprach ihm damals philosophischen Trost zu. Jetzt erfahre ich ich s gewiß am eigenen Leibe u. kann mich selber philosophisch trösten.
Sonnabend Vorm. 4 Mai .
Wechselnde Stimmungen. Vorgestern Abend machten wir scherzhafte Konstantinopler Pläne, am nächsten Tag sah wieder alles trostlos aus. Ich tue kaum etwas anderes als Briefe schreiben. Nach USA an * Tillich 1 u. * Ulich , heute an * Weißberger nach Oxford. Dessen Adresse verschaffte mir * Frau Aron. ( * Sein Vater inzwischen ) – In einer Stunde will ich bei * Stepun sein. – Keine Samlung zu etwas anderem.
* E. s Zustand dauernd schlecht. In der Zahnsache wieder besonderes Malheur: eine Arsenverätzung.
Heute Abend leider viele Gäste. Leider – des Geldes wegen.
Nachm.
* Stepun berichtet, daß mein Katheder neu besetzt wird. Also hat man mich nicht Einsparungshalber hinausgeworfen. Sondern als Juden. Obschon ich im Felde war usw. usw. –
Er nannte mir zwei Schweizer Adressen für Verlag und Vorträge: Vita Nova-Verlag, Luzern u. * Dr Liefschitz, Bern.
Dienstag 7. Mai
* Stepun ist ein großer Komoediant u. schwelgt in bedeutsamen Phrasen. Die Dämonen u. die Philister füllen die Welt, Heilige fehlen. Dämonie ist jede excentrisch gelagerte Partialität, die Anspruch auf Totalität erhebt .. das habe ich jetzt in einer Vortragsreise in der Schweiz ausgeführt.
Ich sagte: []Niemand von meinen Kollegen kümert sich um mich. Man denkt: wieder einer gefallen – wer wird der nächste sein? – Ich? – In Flandern liefen wir einmal ins Maschinengewehrfeuer, ich stolperte über eine Schiene, fiel, raffte mich kam nach den anderen in Deckung. Ein Kamerad sah auf u. sagte gleichgültig: Sind Sie auch noch da? Ich dachte, Sie seien gefallen. (Der Unteroffizier * Ruhl am 15. Dez. 15, als wir aus dem Schützengraben zurückkamen). So ist es heute unter uns Professoren. Stepun: []Sie haben wohl recht. Kriegsmentalität, nur noch schlimmer.[]
Am Sonnabend Abend waren * * Kühns bei uns, * Wengler, * Annemarie u. * Dressel. Man fand sich sehr leicht mit meiner Mattsetzung ab. Kühn meinte, ich müßte gegen die Pensionierung reklamieren, mir käme Entpflichtung (das neue Wort für Emeritierung) zu. Gestern Nachm. sprach ich mit * Beste, dem Dekan, darüber. Er sagte: []unmöglich etwas zu machen. Es bestehen zwei [‹]Gesetze[›] nebeneinander, das immer wieder verlängerte [‹]zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums[›], das Pensionierung vorsieht, u. das neue der Entpflichtung. Der Statthalter wählt dazwischen nach Belieben. § 6 besagt ausdrücklich: Pensionierung, falls aus Spargründen die Stelle eingezogen wird: Das Ministerium hat ausdrücklich uns beauftragt, Vorschläge zur Neubesetzung Ihres Postens zu machen. – Und wenn die Hochschule dagegen protestiert? – Ausflucht oder ‹Das geht Euch gar nichts an›. Es war genau das Gleiche in den Fällen * Holldack u. * Gehrig. Man kann nichts machen.
– Gestern Abend bei * * Blumenfelds; eine richtige kleine Gesellschaft. * * Die alten Kussys, 1 * * Dembers industrielle Freunde, und * Breit , der sehr leidende u. sehr verbitterte. Er sagte, er habe noch 10 % seines früheren Einkomens. Allgemeine Trostlosigkeit der Stimmung. Auch hier wurde erzählt, was ich schon von * Stepun hörte: im Ausland rechne man mit dicht bevorstehendem Krieg. Ich kann es nicht glauben. Das Ausland hat keinen Krieg nötig, u. selber anzufangen wäre sogar für die jetzige Regierung zu dumm. * Stepun aber sagt: Sie haben die nationale Phrase zu sehr überzüchtet, sie haben eine Aussenpolitik ‹noch unter *
Weitere Kostenlose Bücher