Klemperer, Viktor
verwaltete; u. aus einem Baseler Blatt sah ich, daß * Hoetzsch 2 in Berlin gehen mußte. Also eine allgemeine neue Treibjagd, u. somit neuer Stellenhunger. – Meinung der Schweiz: die Regierung sitze fester als je u. werde radikaler als je durchgreifen. –
Von * Georg unter dem 25. Brief aus Rom, wohin er zu zu einem Patienten gefahren, nachdem er vorher in Locarno gewesen, dann seinen 70. Geburtstag bei * Otto Kl. in Cambridge überstanden hat. Er will mir die 6 000 M. natürlich zur Verfügung stellen (wie reich muß er sein! Aber wie grundanständig ist das doch von ihm gehandelt!), begreift aber nicht, warum ich an meinem Haus u. an Deutschland festhalte. Wenn uns das Staatsbürgerrecht entzogen werde, gehe er nach Amerika, wo er als Arzt noch ein wenig verdienen könne; er wolle lieber draußen darben, als hier in Wohlstand u. Schmach leben. – Sehr schön gesagt. Aber wie soll ich aufs Geratewohl hinaus? Und womit kann ich draußen ein wenig verdienen? Er kennt meine Lage nicht. – Inzwischen gärtnert * Eva mit frenetischer Leidenschaft, u. meint, wir müßten auch mit halbem Gehalt existieren können, wenn die Schuld an * Praetorius fortfalle. Und schon will sie einen Teil dieser 6 000 wieder zum Ausbau benutzen. Vielleicht hat sie recht, denn Geld hinlegen, oder Geld an die Iduna abzahlen ist genau so unsicher wie alles andere. Ich fühle mich oft buchstäblich am Halse gewürgt. Und immer, wenn ich den Park hinaufkrieche, habe ich das sichere qualvolle Gefühl, daß es mit meinem Herzen zu Ende geht.
Dennoch handelt es sich immer nur – seelisch u. körperlich – um vorübergehende Depressionen, fünf bis sechs am Tag. Dazwischen arbeite ich merkwürdigerweise gut. Das 18. Jh. gedeiht langsam: übermorgen soll der Abschnitt Dichtung neben * Voltaire fertig werden; den ganzen ersten Band hoffe ich jetzt bis Oktober zu schaffen. Auch auf der uralten Schreibmaschine komme ich langsam in Fahrt. * Karl Wieghardt hat höchst drollig einen Küchenmörser zur Beschwerung an den gleitenden Teil gehängt; nun functioniert sie beser. Ich tippe tippe am schnellst besten mit einem Finger; aber es geht, u. ich übe fleißig. Ich schreibe mein Deutsches Frankreichbild 1 bald ab, um es dem Nova Vita = Verlag vorzulegen, der sich dafür interessiert. Täglich in etwa 2 Stunden eine M.S. = Seite; 2 es sind 60 Seiten. Ich habe mir sogar vorgenomen, das Montesquieu-Cap. meines 18. Jh. s unmittelbar auf der Maschine zu schreiben.
Ein winziges Schwälbchen, es macht keinen Somer, ist aber doch erfreulich: ich soll irgendwann im Winter vor der freien Studentenschaft Bern , vielleicht auch noch an anderen Schweizer Orten Vortrag halten.
Sonst sehr einsam, besonders innerlich. * Gusti Wieghardt sieht alles rein sowjetistisch, * * Blumenfelds sehen alles rein jüdisch an. Und Gespräche mit * Eva führen meist zu tiefen Depressionen u. werden besser vermieden.
Zum Vorlesen komme ich selten; wir sind Abends beide sehr müde, u. mich quälen die versagenden Augen.
Liste der letzten Wochen:
1) * Charles Morgan: Der Quell (the Fountain) 3 angelesen u. abgegeben. Es war uns zu schleppend besinnlich, wir müssen jetzt Abends Spannenderes haben. (Ein in Holland internierter englischer Offizier, der sich nach Besinnlichkeit u. Mönchsleben sehnt. Ein hübsches Wort darin, aus dem Brief seiner Mutter, haftet in mir: Die Rache ist mein, spricht der Herr – aber man muß ihm helfen. – Wer hilft ihm in Deutschland?)
2) * Louis Blomfield, 1 Amerikaner u. wohl auch Jude: a) Vierundzwanzig Stunden, sehr schmissig, kinoartig, aber mit einigen psychologisch ausgezeichneten Capiteln. (Die Schauspielerin, die selbst in ihrer Hochzeitsnacht spielen muß.) b) Olivia Pentland , ein wenig schleppend, aber gut. Eine conservative Familie, die von der Heldin zermürbend Besitz nimmt.
3) Jetzt bei einem ungemein fesselnden Zeitroman. Union der festen Hand von * Erik Reger. 2 Erschien 1931, spielt bei Krupp * Krupp – Schlüsselroman – beginnt September 1918, ist hinreichend schnoddrig geschrieben.
Viel Wirtschaftsarbeit. Jetzt erleichtert, da wir Gas hineinlegen ließen. Die elektrischen Kochapparate, für die man so viel wirbt, u. auf die wir hereinfielen, sind Volksbetrug: zu teuer u. zu langsam im Kleinbetrieb.
Die langwierige zweite Zahnbehandlung * E. s ist G. s. D. 3 zu Ende – die Rechnung steht aus. Da die Behandlung durch einen Fehler oder ein Mißgeschick des Zahnarztes so lange dauerte (Arsen-Verätzung) sind wir auf die
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