Klemperer, Viktor
Friedrich d. Große, Stuttgart Verlag Kohlhamer 1944. Auch erscheine jetzt deutsch der Briefwechsel V. s mit Friedrich u. * Katharina II, Verlag Hans v. Hugo. Modernisierung der LTI der LTI zustrebend: Volt. habe der Zarin zum türkischen Kriege einen neuen Kampfwagentyp angeboten, dessen Vertrieb er übernehmen könnte.
Inhalt dieser Reich-Übersicht also: Frankreich : * Thorez, Voltaire, Animisme. USA . Sinclair * Lewis, UNRA, * Pritzkoleit, * Willy Seidel. Deutschland: Oberlyceum, Heiratsvermittlung, Deutsche Akademie, * Platen, * Raschke. Notiert unter 7. u. 8. Dez. beendet erst Sonnabend Mittag 9. Dez.
Sonntag gegen Abend 10. Dezember 44 .
Gestern hatten wir wieder zwei Alarme . Ich hatte bis gegen Mittag an den obigen Notizen gesessen, dann unser Wohnzimmer hier aufgewischt, da kam um ¾ 1 der erste u. führte rasch in den Keller. * Eva war in città. 1 Um ½ 2 wurde entwarnt, ohne alles Schießen. Um 22 h – E. hatte sich eben hingelegt, ich schon Kragen u. Schuhe u. Strümpfe abgetan, heulte es wieder, u. wir machten uns peinlich besorgt fertig, denn die paar Schritte durch stockfinstere Nacht zur No 3 hinüber sind abscheulich. Aber sobald wir angezogen waren, nach einer knappen Viertelstunde, wurde schon wieder entwarnt – kellerfrei. –
Am Nachmittag war * Steinitz bei uns gewesen. Trübe Stimmung, wie bei allen Juden, wie auch im Kreise * Winde- * Kreisler, wegen der Stagnation im Kriege – es treten auch wieder Gerüchte von neuen deutschen Mitteln auf: man soll Turbinen bauen, mit denen Flugzeuge heruntergesaugt werden! Ich selber lasse mich allmählich von dem überall verbreiteten Satz beeinflussen: Der Krieg ist noch nicht entschieden. Ich äußerte mich gegen Steinitz sehr absprechend über * Seydels Neuen Daniel u. seine stur einseitige USA-Mißachtung. Man soll nicht vorschnell urteilen. Heute, nachdem ich den Nachmittag über weitergelesen u. die Deux Allemagne 2 darin entdeckt habe, sieht alles ganz anders aus. – Am späten Nachmittag unterrichtete ich gestern noch * Bernhard St. Er hat mich gebeten, ihm Geschichte beizubringen, als sein Lieblingsfach. Ich habe immer wieder beobachtet, daß ihm die geläufigsten Fremdworte unbekannt oder mindestens undeutlich sind; so klärte ich ihn, ein Mittelding zwischen französ.u. Geschichtsunterricht, über die Begriffe Dictator, Republic, Monarchie, Oligarchie, Constitution auf. Dieser Unterricht u. überhaupt der Fall Bernhard St. – am 1. I. 45 fünfzehn Jahre alt, fast ohne Schulbildung, aber mit einigen Brocken Englisch u. Spanisch gemästet (paar Privatstunden, der Lehrer endete im Kz, vorher ein bißchen Notvolksschule als Judenklasse organisiert, längst Fabrikarbeiter) – dieser Fall ist also für meine Darstellung, sei es die LTI, sei es das Curriculum, äußerst wichtig.
– Heute Vormittag bei geringster Beteiligung u. der üblichen wirren Rederei * Jakobys die Beisetzung der * Stühler sen.-Urne. Sie ging mir sehr auf die Nerven, es ist doch wohl der tragischste der hier miterlebten Todesfälle. – Rückweg gemeinsam mit Steinitz. Bei ihm sah ich den gestrigen Heeresbericht. Winzigste Fortschritte im Westen u. in Ungarn, u. so winzigste Besserung meines inneren Zustandes. * Lewinskys erwarteter Nachmittagsbesuch blieb aus – Arbeiteinsatz auf dem Güterbahnhof, wie ich von * Werner Lang hörte –, ich bekam Zeit zum Vorlesen, fand wiegesagt Wertvolles bei Se y idel – vom Katzenmord zum Judenmord ! – u. so besserte sich die Stimmung um noch ein Weniges. Aber das schreckliche Gefühl des ablaufenden Lebens, der Nichtigkeit meines Studiums – 1) werde ich nicht Zeit behalten, meine Themen zu schreiben, 2) u. wenn ich Zeit behalte, wenn ich sie schreibe – was hilft es groß gegen das Ausgelöschtwerden? – das Gefühl der Todesnähe u. der Sinnlosigkeit des Lebens verläßt mich nicht. Vielleicht spricht der idiotische Jacoby morgen über meiner Urne. (Ich habe mir das mehreren Leuten gegenüber energisch verbeten, ich habe gesagt, meine Urne würde sich öffnen u. ich ihm meine Asche ins Gesicht blasen – aber innerlich war mir sehr unwohl bei dem heroischen Cynismus.) – Das Peinlichste an Jakobys Grabrede für Stühler war, daß er ihn in mehreren schärfst betonten Sätzen als guten Arbeitskameraden rühmte. Jeder der wenigen Anwesenden wußte, daß das Gegenteil der Fall gewesen, jeder kannte den Zwist * Cohn – Stühler, jeder sonstige Aneckungen u. Feindschaften des Toten, u. eben deßhalb war wohl
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