Klemperer, Viktor
gerät so; gerade als Protestantismus u. Germanismus ins Zoologische. Während sich romanisch katholisches Denken an der umgrenzten Scala genügen läßt, u. das Übrige, das jenseits der Grenzen Gott überläßt. Es ist ein bescheideneres u. reinlicheres Denken. Es ist ehrlicher. Im germanischen Denken ist immer die Möglichkeit der Ausflucht u. Flucht ins Gefühlsmäßige, Dunkle immer das Zurück zur Natur u. zur Zoologie! gegeben. Damit das Versteckspielen u. Voltigieren. – Protestantismus führt ins Extrem; zur Natur u. damit zur Naturwissenschaft , zum Rationalismus, aber über beides hinaus u. unter beides hinunter ins Grenzenlose der Mystik u. des Unbewußten. Der Protestantismus ist eine individuelle u. undisciplinierte Angelegenheit: das zeigt sich im Sektenwesen, im Individualismus, in der Excentrizität des Engländers. In Deutschland wirkt dem entgegen der Trieb zur Unterordnung, zur Unfreiheit, der sich idealistisch als Treue, als Gefolgschaftsideal darstellt. – –
2) dreiteiliger Inhalt des * Seidel-Buches, das im Stil bisweilen den Expressionismus vor des Kriegsendes zeigt: zur Härte concentrierte u. verrenkte Sätze, in der Idee vom Krie ersten Weltkrieg beherrscht ist. Der Deutsche Erwin Notacker u. die Engländerin Mildred haben sich während des Krieges in USA geheiratet; sie ist zu ihm gekomen, mit ihrer ganzen Familie zerfallen. Sie fühlen nationale Verschiedenheit[,] aber stärker die persönliche u. europäische Verbundenheit zwischen sich, u. sie leiden beide im steigenden Maße an der amerikanischen Umgebung. Manchmal scheint Mildred als Angelsächsin noch einige Verbindung zu USA zu haben – aber im Ganzen, u. täglich mehr, fühlt sie sich genau so abgestoßen wie Erwin. Der ganze erste Teil: Die Kluft ist eine sture Ablehnung Amerikas, wobei 1920 schon mit genau denselben Anklagen u. Überheblichkeiten u. Einseitigkeiten gearbeitet wird wie 1939. Die Amerikaner bemühen sich um Kultur des Geistes u. Körpers, aber sie drücken auf ihr Programm einen Stempel, der es grausam entwertet. Die Entwertung heißt: Mache Geld. 91. Sie sind in ihrer Masse geistlos , deßhalb leicht zu lenken. Das zeigt sich in der Kriegspropaganda: Das Plakat Uncle Sams mit dem ausgestreckten Zeigefinger: I want you! – die Presse. – die Vierminuten-Agitationsredner im Kino, zur Greuelpropaganda gesteigert. Nichts ist leichter als Propaganda mit Amerikanern zu machen.[] 268. 1920 geschrieben, ohne Ahnung, wie bald in Deutschland die gleiche Propaganda herrschen wird!! Die Erbitterung über diese Propaganda erreicht im zwei dritten u. letzten Teil im Vierminutenmann ihren Höhepunkt. – Erwin fühlt sich unter diesen Menschen als Daniel in der Löwengrube. – In einem gewissen Widerspruch zu der Geistlosigkeit der Masse steht der Praesident * Wilson, den * Seidel nicht als Betrüger, nicht als leeren Deklamator, sondern als weltfremden Professor u. – immer wieder – fanatischen Schulmeister u. Moralisten u. Theoretiker zeichnet. Anfangs hält er es sogar für möglich, daß der Mann mit seiner Weltbeglückung etwas ausrichten könnte. Wieso, wenn sie so geistlos sind, wählen die Amerikaner gerade diesen Mann? Die Frage wird nicht gestellt, die Antwort dürfte lauten: weil sie dabei ihr Geschäft machen. Aber bisweilen heißt es doch auch, diese primitiven Leute hätten Gemüt auf das Propaganda zu wirken vermöchte. Ist das nicht auch ein Widerspruch gegen die Geldstempel-Theorie?? – Teil zwei des Buches: Der Fall des Leutnants Zuckschwerdt führt von der Einseitigkeit der USA-Feindschaft ab. Zuckschwerdt ist der Repraesentant, die symbolische Gestalt – wie denn Symbolismus ausgedehnter u. aufdringlicher u. verdunkelnder (in Träumen, Fiebervisionen von der Löwengrube etc.) den Stil beherrscht als der nur gelegentlich auftauchende Expressionismus – die Verkörperung des anderen Deutschland, desjenigen, das die Abneigung der Feinde verständlich macht, das selber schon teilweise amerikanisiert u. ganz materialisiert ist. Z. ist lärmend, taktlos, großschnäuzig auf die Amerikaner, die Bande herabblickend, dabei skrupellos mit den Wölfen heulend, zu jedem Geschäft, jeder Nachäfferei auch zum betrügerischen Vorgeben eigenen Amerikanertums bereit. Er ist entsetzlich brutal. Seitenlang wird geschildert, wie er einige Katzen ersäuft – ein junges Tierchen will nicht sterben, das irritiert ihn, verletzt ihn in seiner Eitelkeit, u. er macht mit einem Stein rotes Mus aus ihm. Mit Tötungen
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