Klemperer, Viktor
läßt sich dort als Spieldosenmacher nieder, fabriziert aber immer nur genau so viel, als er zum einfach-behaglichen Leben braucht. – Beliebt in der ganzen Stadt als Lieber Augustin, kleine Amouren. Dann die große romantische reine Liebe mit Friederike von Bretzenheim, der 17jährigen Hocharistokratin u. Fürstabtissin eines adligen Stifts. Er u. sie fühlen sich als Ab Nachfahren des gestorbenen Rokoko – allzubewußt! – der abklingenden * Wertherzeit 2 u. empfindsamen Epoche. Friederike wird von einer ihrer Damen verraten, sie wird aus Lindau abgerufen, später verheiratet, standesgemäß – es wird (kurze Erwähnung) eine glückliche Ehe. Dem Gustl soll sein Schweigen abgekauft werden. Er entrüstet sich. Aber er bekomt durch diese Liebe, [s]ein Verhalten, die Verhandlung nachher, Verbindung nach oben – er gerät wider Willen u. Wunsch in hohe Politik .. Das Schicksal der Stadt Lindau während der französ. Revolution u. des ersten Kaiserreichs. Sie wird erst einem Stiefbruder der Fürstäbtissin zugeschlagen, Karl August Fürst v. Bretzenheim, dann oesterreichisch, dann bayerisch. An diesen Transaktionen ist Gustl beteiligt. Er könnte in Politik u. Diplomatie hochkomen, man fördert ihn, dekoriert ihn – er flüchtet aus allem heraus, er will seine Ruhe, seine Faulheit, seine Spieldosen, sein leichtes verträumtes, seit Friederike ein bisschen wehmütiges Leben. An diesen Abschnitten wird ein Stückchen Weltgeschichte zugleich aus der Froschperspektive u. mit ironischer Verachtung skizziert. Gustl ist als Sekretär zugegen, als nach Austerlitz, 3 der bayerische Gesandte in Audienz bei * Napoleon den großen Gebietszuwachs für Bayern gewinnt, gegen den Willen des von Würt[t]emberg gekauften * Talleyrand. Aber Held dieser Scene ist doch der stumme Gustl, den das ganze unruhvolle Treiben krank macht, u. dessen einziger Wunsch: Flucht in die Stille heißt. (Zu den Spieldosen, zum sanften See, zum deutschen Rokoko, das sich dem über * Gessner 4 hinaus dem * Werthertum nähert). Er kehrt nach Lindau zurück. Ein neues Liebesabenteuer – Susanne – wird ernst. Suz . ist geistig hochstehend, ist selbstbewußt, er schätzt sie, heiratet sie, sie macht beinahe einen Bürger aus ihm – aber im Reifen bleibt er doch der l. Augustin, u. die romantische Schwärmerei für Friederike bleibt im Tiefsten bestehen, ohne Untreue gegen Susanne. Das füllt die großen Jahre 1807–1815 – Weltgeschichte ist versunken. 1815 erwartet Sus. ein Kind u. stirbt an Fehlgeburt. – Inzwischen hat Gustl einen weisen alten Freund gefunden, den ganz entthronten u. verschollenen Doctor Mesmer in Meersburg, der ihm u. Susanne zugetan ist. Er hat schon dem Junggesellen Augustin das Himmelbett der Prinzessin Lambelle geschenkt. Es wird zum Ehebett des Paars – Symbol!
Susanne (u. Mesmer) sterben 1815. Der Rest Lebensrest – wielange wird nicht gesagt – A s wird auf 10 Seiten in einem Schlußcapitel (Una ex his 5 – in einer dieser Stunden) behandelt. Aug. altert in gedämpfter Fröhlichkeit, in einiger Distanz von den Menschen, aber freundlich mit allen u. glücklich-wehmütig naturversponnen. Dann wirft er sich einmal einem durchgehenden Wagen als Retter entgegen, wird dabei tötlich verletzt. In dem Wagen saß, an seinem schmerzlosen Sterbebett sitzt, als reife schöne Frau noch einmal aufgetaucht, Friederike. Sie küßt ihn, er stirbt glücklich, sein letztes Wort: Mich hat das Leben grenzenlos verwöhnt.
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Das Buch ist historisch-kulturhistorisch reichlich durchspickt .. Es ist eine Verherrlichung des deutschen Rokoko (mit Innigkeit, Wehmut, etwas * Wertherei, stärkstem Naturempfinden, immerhin bei Erotik, Lüsternheit, Eleganz. Es ist nicht süßlich – A. s Vater ein Wilderer, er selber in der Spieldosenaffaire praktischen Schicksalsschlägen unterworfen, hart angepackt. Aber es verherrlicht süße u. zärtliche (Lieblingssephitheta) Musik in Dingen, Naturbildern, Symbolen, u. A. u. Friederike schwärmen etwas allzu bewußt für Rokokoromantik. – Das Entscheidende aber ist die bewußte Trägheit u. Ehrgeizlosigkeit, mit der sich A. (trotz seines beschaulichen Interesses für Politik) vom Politisch-Historischen abkehrt u. seine Ruhe haben will. Das kehrt als Leitmotiv immer wieder, u. alle Sympathieen des Autors sind bei Aug., u. nicht bei den großen Acteurs der Geschichte. Von seinem unfreiwilligen Ausflug in die Diplomatie kehrt er 1805 krank an Körper u. Seele [zurück]. Die Wucht des Moments
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