Klemperer, Viktor
verkrüppelt, die Tochter Katharina im Zorn gegen den Vater verschollen. Sie will Lagerdirne werden. Sie endet im katholischen Kloster. Der Statthalter * Jan de Witt. Die Kriegspolitik. Die Volksstimmung – ironisch u. glänzend geschildert, wie sie entsteht, wie sie benutzt wird. Jan wird halb ironisch zum Generalgouverneur der arktischen Kolonieen ernannt, man schickt ihm eine Flotte zum Stadt-u. Fortbau, fördert sein Unternehmen auf alle Weise, läßt ihn ohne Macht der militärischen Besatzung gegenüber. Dritter Sommer 1653. Die widerspenstige Soldatenbesatzung (keine Citrone! Der saure Gouverneur); die Seeleute finden ihn zumeist komisch. Aber einige hängen ihm an. Insbesondere der Steuermann Gerrit Mertens (selber Balladengestalt, verdüstert, hat als Kind alle Angehörigen im 30jährigen Krieg gräßlich verloren.) Jan erstickt in halber Notwehr den Hauptmann Van Nak. Ein englischer Überfall – Verrat des Matrosen Zondervan, der Gold auf Spitzbergen vermutet. Mertens gibt sich für Jan aus u. wird von dem engl Kriegskapitän erschossen. Jan jagt den Verräter Zondervon in eine Felshöhle, läßt ihn dort umkomen. Später ein neuer Kampf mit dem engl. Kriegsschiff: der Kapitän wird erschossen, die gefangene Mannschaft wird erschossen. Das Blut lastet auf Jan. Auch sieht er den Materialismus u. die Undankbarkeit seiner Leute. Die Koloniebildung ist ihm verleidet, er möchte den Gouverneursposten los sein, er möchte weiter – zur Nordostpassage. Er ist müde, vereinsamt, vergrämt. Im dritten Winter 1653/4 stirbt die gesamte Batteriebesatzung nach törichter Völlerei (u. höhnischem Verschießen der Citronen) an Skorbut. Pastor Froben, erst pfäffischer Eiferer, im Zwist mit Jan, von diesem gewaltsam an Rückkehr verhindert, nun im Elend zum wahren Geistlichen u. zum engen Freunde Jans geworden, wirkt als Samariter u. Seelsorger. Jan hat im Somer 53 sein Demissionsgesuch nach Holland geschickt. Im Somer 54 erscheint im großem Civil- u. Militärgefolge ein Admiral, sehr feindselig gegen Jan gerichtet. Jans Demission abgelehnt, er wird vieler Gewalttat verdächtigt, er soll bleiben u. einer Deportiertenbande im nächsten Winter als Aufseher vorstehen. Er lehnt ab, will die Insel heimlich verlassen, wird verraten u. gefangen gesetzt, nach einiger Zeit aber nach Holland zurückgeschafft. Auch dort einige Zeit in Gefangenschaft, bei allgemeiner Amnestie anläßlich des Friedens mit England (des gegen Lukas Brants Meinung geschlossenen) begnadigt. – Aussöhnung mit dem Vater, halbwegs auch mit dem Statthalter; ihm wird eine Expedition gerüstet zur Entdeckung der Nordostpassage. (Für Holland! s. o das vorangestellte Citat). Auf dieser Expedition stirbt er 1657. – Smeerenburg verkomt, verfällt. – Brants Journal – offenbar die Quelle – wird gerettet.
Es ist wiegesagt der Fehler des Romans, daß dieser Schlußteil, Ereignisse wie Personen[,] allzu skizzenhaft angehängt ist. Da fehlen die inneren Beziehungen zum Vorhergehenden. Schon im letzen Smeerenburger Somer ist es eine völlig für sich bestehende Ballade, daß die Flotte ein totes Mädchen mitbringt, die Tochter des Lukas Brantschen Compagnons. Sie ist heimlich gekomen, sie hat sich als seine Braut ausgegeben, ist unterwegs gestorben. Man weiß vorher kaum etwas von ihr.
Aber diese herabhängenden Fäden beiseite: die Ballade Jan Brant auf Spitzbergen ist grandios, ist ungemein reich an einzelnen Balladenbildern u. Balladengestalten. (Der Pastor, der Steuermann, der Schiffsjunge, der zum Sekretär u. Gelehrten wird, der Hund Karel, der englische Kommandant Sir Fotherby u. einige andere.
* Ulitz ist reiner Romantiker, möchte es sein, wie in seinem * Lenaubuch; er liebt auf * Stefan Zweigs Art das rein Menschliche, u. das psychologisch Individuelle; er ist grotesk realistisch in der Verwendung des medizinischen Motivs (der Kampf gegen den Skorbut, die mißachtete Citrone, der halsstarrige Arzt). Er ist eigentlich unpolitisch, bestimmt unnationalistisch, bestimmt ohne Glauben an die vox populi. Er ironisiert eigentlich jeden Nationalismus u. jeden heiligen Krieg. Und doch ist er der Dichter des Gauklers von London u. der oberschlesischen Judengeschichte. 1 – –
Wo hat Ulitz die paar Volksspottlieder u. die immer wiederkehrende kleine historische Volksballade her: Holland gehört das Wasser, Holland die Erde .... ? Eigene Erfindung oder nach dem Journal gearbeitet??
Rein zur LTI : Es heißt einmal von einem, der sich wortreich entrüstet
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