Klemperer, Viktor
Kindheit des Andreas im Waldhegerhaus. Fröhliche Armut. Der Junge ist das elfte Kind, die Mutter kat Êxoxnv, will die Apostelzahl vollhaben – alle Kinder, Jungen u. Mädel tragen Apostelnamen –, als Till-Anderl etwa 14 ist, bekommt sie das zwölfte, u. stirbt mit dem Töchterchen zusamen bei der Geburt. Der Vater, der sich nur einmal im Jahr betrinkt u. im Rausch der gutmütigste Mensch, außerhalb des Rausches der beste Mensch ist, verteidigt sich dem Andreas gegenüber: die Mutter habe das 12. Kind gewollt, sie hatte solch Lebensverlangen! – u. stirbt selber ein Jahr später. Der Wald, das einfache Leben, die Sitten u. Schnurren der Landschaft, die Kinderstreiche – das alles ist sehr hübsch erzählt. Nur, daß Pleyer niemals wie * Schaffner den einfachen Volkston in ein einfaches u. klassisch modernes Deutsch einbaut, vielmehr durchweg altertümelt, tteutschtümelt (mit zwei t), die humoristische Wendung krass unterstreicht. Das ist sein durchgängiger peinlicher Fehler. Er will Humorist sein, er will altdeutscher Biedermann, er will Volksgenosse sein. Dabei komt in dem Überbetonen der mütterlichen Fertilität u. in der demütigen Anrede der gräflichen Gutsherrschaft der Einfluß der slavischen Umwelt schon hier stark zum Ausdruck. Immerhin ist diese Kindheitsbeschreibung mit Jahrmarkt u. Festen u. Handwerk u. Treibjagd recht hübsch u. trotz deutscher Seele u. Blut mit den Trieben der Lippe in seiner Bescheidenheit genießbar. Im Mittelabschnitt des Buches komt Andreas ohne Neigung u. Begabung auf in ein Priesterconvikt in böhmischer Kleinstadt. Ihn interessiert bildende Kunst, secundo loco Musik, Abstraktes gar nicht. Auch wird zu viel gebetet. Aber der etwas spöttische Antiklerikalismus ist nur keineswegs schroff betont. Andreas ist 1901 geboren, in diese Schuljahre fällt der Krieg. Er hat zwei Brüder an der Front, beide fallen, während die tschechischen Truppen überlaufen. Es fehlt aber hier wie auch später an haßerfüllten Worten gegen die Tschechen. Immerhin regt sich hier ein wenig das Deutschtum, das Sudetendeutschtum des Autors. Nach einigen Jahren muß er das Convikt verlassen u. geht nun in seiner Heimat zu einem Steinmetz in die Lehre. Danach, mit Privatunterricht u. Hungern, studiert er an der Akademie in Prag, zuletzt hat er auch schon einige Aufträge, ist seiner Bildhauerei sicher, ernährt sich aber von einer Handlung mit Baumaterialien. In diesem ausgedehnten dritten Teil (Prag u. wieder Heimat) tritt das Sudetendeutsche Thema, die Spannung tschechisch–deutsch stärker hervor. Ein Freund leitet eine Jungschar, die deutschen Prager Studenten werden von den Tschechen mißhandelt, während der Deutsche – er nennt sich einmal einen deutschen Lämerschwanz [–] sanftmütiger ist. Aus Irrungen sucht A. einmal Ausweg u. Halt durch Dienst an der Gemeinschaft. Und die Verschiedenheit deutschen u. tschechischen Wesens erkennt er u. macht er kenntlich an der Eigenart zweier von ihm hochgeschätzter Bildhauer. Er verehrt die volle Sinnlichkeit seines Akademielehrers * Jan St STURSA, 1 aber sein deutscher Landsmann * Franz Metzner 2 ist idealistischer. Tief geht diese Unterscheidung nirgends, wie denn überhaupt nirgends tief charakterisiert wird. Von irgendwelchem Haß auf die Tschechen ist nicht die Rede – aber die Deutschen sind die reinen Menschen u. die Unterdrückten. (auch Antisemitismus fehlt ) . Die jüdische Frau, bei der er als Hauslehrer tätig ist, wird nicht ironischer u. bösartiger gezeichnet als irgend sonst wer.) Die Schwäche u. Peinlichkeit dieses dritten Teils besteht darin, daß sein wesentlicher Inhalt weder die Kunst noch das Deutschtum ist, sondern nur u. immer wieder die Sexualität. Und zwar eine schmutzige, obwohl der * Autor sie für rein, unlüstern u. paedagogisch vorgetragen hält. Andreas ist zeitig verlobt u. will sich rein halten. Immer wenn es ihm gelingt am Coïtieren vorbeizukomen – das gelingt ihm immer, aber nur im letzten Moment, u. nach wievielen Ausschreitungen der Phantasie! –, hält er sich für rein. Den Frauen, mit denen er zusamenkommt, geht es ähnlich oder unäh unähnlich: alle sind sie erotisch erregt, unbefriedigt u. angstvoll. Marianne, die Braut, hält sich genauso mühsam wie Andreas. Auch die Ehe hilft dem Phantasieverfolgten erst wenig. Bis ihn ein Erlebnis läutert u. Marianne seine Beichte Beichte u. ein Kind empfängt. Womit es dann besser werden soll, oder endgültig gut, denn damit schließt der Roman. Die
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