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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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seiner Auserwähltheit durch Vorsehung u. Allmächtigen überzeugt ist. Beide, G. u. H., rechnen den Engländern u. Amerikanern vor, wie dumm sie sind, Rußlands Sieg zuzulassen, der auch ihre Vernichtung mit einschließe. Bei Goebbels ist das ein kaum verhehlter Appell an Engl. u. USA, in Deutschland den Bundesgenossen zu erkennen. Hitler seinerseits spricht von dem Weltanspruch der Kremljuden. Wie verträgt sich das mit Goebbels neulichem Artikel, wonach hinter allen u. als Kitt zwischen allen das Judentum steht? Man dreht die Dinge heute so u. morgen so, auf Widersprüche kommt es nicht an. Im Übrigen die alten sprachlichen Ladenhüter: fanatisch, verschworene Gemeinschaft etc. etc. Auch schon abgelatscht ist Hitlers Drohung mit schimpflichem Tod gegen jeden, der .. usw. Ein klein wenig neuer als das andere ist der erhöhte Grad seiner Frömmigkeit. Diesmal hat er es schon mit dem Segen des Allmächtigen.
    Seit gestern starkes Tauen. Bis dahin ernstlicher Frost. Von verschiedenen Seiten wird gleichlautend erzählt, daß in den Flüchtlingszügen viele Wickelkinder erfroren seien, daß man ihre Leichen aus den Waggonfenstern geworfen oder an den Böschungen der Eisenbahn niedergelegt habe. –
    Die zur gesteigerten Eßnot seit einigen Tagen hinzugetretene Qual: der mangelnde Gasdruck. Auch in den amtlich zugelassenen Brennstunden (6–8, 11–1, 6–8), oft auch gerade in diesen Stunden, ist es kaum möglich, Wasser zum Kochen zu bringen. Auf diese Weise ist unsere Ernährung noch schlechter geworden. Hinzukommt, daß Volkswohl u. Maxe immer mehr Zulauf haben u. immer weniger abgeben.
    * Hans Friedrich Blunck: Volksbuch der Sage vom Reich. Hanseatische Verlagsanstalt Hamburg (Lizenzausgabe für das Protektorat Böhmen u. Mähren im Verlag Noebe & Co. Prag (?) 1944.)
    Ich werde immer wieder u. unter allen Gesichtspunkten an das Esperanto erinnert. Esperanto soll leicht, allen zugänglich u. volkstümlich sein, ist aber nur denen leicht, die mindestens ein Vierteldutzend Sprachen vorher kennen – u. auch für sie nicht leicht, denn es verwirrt sie, genauer verwirrt durch sein künstliches u. willkürliches Zusamenmischen der Elemente natürlich gewachsener Sprachen zu einem geschlossenen Kunstprodukt u. Ersatz eben die vorhandene Kenntnis der zugrunde liegenden gewachsenen Sprachen.
    Blunck geht von der deutschen Mythologie aus. Er vermischt willkürlich verschiedenste Sagenkreise u = Elemente, er rühmt sich sich selber, kühn auch aufs ins Indogermanische gegriffen zu haben, wo er es brauchen konnte, denn schließlich wachse doch alles Germanische, Nordische, Teutonische aus einer Wurzel. Esperan Esperanto der Mythologie also.
    Sodann vermischt er deutsche Götterlehre u. Christentum. Esperanto.
    Weiter führt er nicht aus Sage u. Götterlehre in Geschichte über, sondern mischt fortlaufend seinen geklitterten Mythos zwischen die Geschichte. Esperanto.
    Endlich ist das ganze Werk zum großen Teil im poetischen Stil geschrieben, in feierlich altdeutschen Sängerton mit vielen Allitterationen. Dazwischen aber finden sich Strecken nüchternster Prosa, mit ganz modernen, technischen Alltagsausdrücken. Esperanto.
    Von Volkstümlichkeit kann bei alledem nicht die Rede sein, weil auch (u. fast erst recht) auf rein historischem Gebiet zu viel Kenntnis vorausgesetzt wird: der ganze Ablauf der deutschen Geschichte bis 1918 ist auf wenige 100 Seiten zusamengepreßt, an wesentlichen Stellen wird Literatur- Kunst- Philosophiegeschichte hereingedrängt, da wird die Skizzierung oft so knapp, daß wenig mehr als Namensnennung bleibt; u. weil der ganze Tatsachenwust immer wieder mit Mythischem u. Symbolischem forciert ist, wird die Verständlichkeit noch weiter erschwert u. manchmal verunmöglicht.
    Man kann aber das Ganze auch nicht als zwar dunkle aber doch gefühlsmäßig ergreifende Dichtung ansprechen. Denn da oft ein riesiger Zeitablauf, das Schicksal von Generationen, Stämen, Völkern in wenige Sätze zusamengefaßt ist, da die Erzählung nur selten am Einzelnen haftet, so hat der Leser niemals Zeit warm zu werden. –
    Gedacht ist das verfehlte Opus als Comentar zu oder Vorbereitung der Jugend oder des Volkes auf ein mir unbekanntes Gedichtwerk des Autors, * Die Sage vom Reich, 1 aus der ein dunkler Spruch den Anfang des Vorworts macht.
    Sage ist nach Definition des Vorworts ausdrücklich ohne Anspruch auf historische Wahrheit oder auf Religionswahrheit; sie will nur Historisches in erhöhter Lebendigkeit zu bildhafter

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