Klemperer, Viktor
der versoffene u. brutale Gastwirt mit der großen Liebe zu Natur, Ferne, Abenteuer, Exotismus, den die Tierschau bis zum Irrsinn erregt: er fühlt sich als Löwen, sieht in den andern Menschen Tiere u. Jagdwild, mordet sie als Amokläufer u. wird erschossen. Zweimal bekommt man den Mörder vorgesetzt, der sich verfolgt glaubt u. selber verrät. Besonders unreif u. gewaltsam ins Tötliche gezerrt sind die drei Sexualskizzen am Schluß der Reihe. Allen Novelletten gemeinsam ist das Verzerren ins Krampfhafte. Alles ist gut geschildert, aber nirgends wird man warm, nirgends hat man es mit einem Menschen zu tun, überall nur mit der tötlichen Krisis eines Falles. Politik fehlt, nur ist Bürger ein Pejorativ, u. wenn der Bürger etwas ganz schlimm findet, nennt er es kommunistisch. Die Titelnovelle spielt in Sowjetrußland ohne Für u. Wider. Der Schatzwächter bewacht Kunstwerke aus den Zarenschlössern, liebt sie so abgöttisch, daß er einzelne Stücke auf Tage zu sich nachhause nimmt – aber nur auf Tage u. in voller Ehrlichkeit; der Kontrollbeamte oder Komissar aber erschießt ihn als Dieb. – – * Bernhard St., dem ich den * Eroberer zu lesen gab, brachte mir ein der deutschen Jugend erzähltes, ein nicht sehr gut u. in fremdartigem Deutsch aber sachlich erzähltes Buch: Im hohen Norden, Reisen u. Abenteuer in den Polarländern von * Theodor Griesinger, 1 Alfred Oehmigkes Verlag, Einbeck u. Leipzig. 5. Aufl. ohne Datum. Da stehen, offenbar auf die gleichen Quellen wie Ulitz zurückgehend, Abschnitte über Barents, Überwinterungen im hohen Norden etc. An ihnen kann man sehen, welch ein Schilderer Ulitz ist, u. von dieser Eigenschaft ist immerhin einiges schon in den Skizzen vorhanden. (Vor allem in den Hornissen. Der Mörder will in guter Haltung über den sonnigen Platz an Kindern vorbei; er taumelt, ohne es zu wissen, die Kinder halten ihn für betrunken, verfolgen ihn, er flieht .. Allmähliche Steigerung – irgendwie ist dies – u. ebenso der Mann mit den zuckenden Zehen – eine Verwissenschaftlichung der * Kraniche des Ibykus). – –
* Vaters Todestag war mir wiederholt gegenwärtig. Während ich den der * Mutter 2 nie genau weiß. Was sie nicht um mich verdient hat. –
Dienstag Nachm. 13 Februar 45 bei vollko menem Frühlingswetter.
* Odysseus bei Polyphem. – Gestern Nachm ließ mich * Neumark hinüberrufen; ich müßte heute Vorm. beim Austragen von Briefen behilflich sein. Ich nahm das ahnungslos hin. Abends war * Berger eine Weile bei mir oben, ich erzählte es ihm, u. er sagte geärgert, das werde um Schanzarbeit gehen. Noch immer erfasste ich nicht die Schwere der Bedrohung. Um 8 h war ich dann heute bei Neumark. * Frau Jerisch kam weinend aus seinem Zimmer. Dann sagte er mir: Evakuation für alle Einsatzfähigen, es nennt sich auswärtiger Arbeitseinsatz, ich selber als Entpflichteter bliebe hier. Ich: also für mich sicherer das Ende als für die Herausgehenden. Er: das sei nicht gesagt, im Gegenteil gelte das Hierbleiben als Vergünstigung; es bleibe ein Mann, dem zwei Söhne im ersten Weltkrieg gefallen, ferner er, Neumark, weiter * Katz (wohl als EK 1-Träger, nicht als Arzt, denn * Simon komt fort), * Waldmann u. ein paar Schwerkranke u. Entpflichtete. Mein Herz streikte in der ersten Viertelstunde vollkomen, später war ich dann vollkomen stumpf, d.h., ich beobachtete für mein Tgb. Das auszutragende Rundschreiben besagte, man habe sich am Freitag früh im Arbeitsanzug mit Handgepäck, das eine längere Strecke zu tragen sei u. mit Proviant für 2–3 Reisetage in der Zeughausstr 3 einzufinden. ( Vermögens-, Möbel- etc. Beschlagnahme findet diesmal nicht statt, das Ganze ist ausdrücklich nur auswärtiger Arbeitseinsatz – wird aber durchweg als Marsch in den Tod 3 aufgefaßt. Dabei komen die grausamsten Zerreißungen vor: * Frau Eisenmann u. * Schorschi bleiben hier, * Lisl, die elfjährige Sternträgerin, muß mit * Vater u. * Herbert fort. Man nimmt auf Alter weder nach oben noch nach unten, weder auf 70 noch auf 7 Rücksicht – es ist unbegreiflich, was man unter arbeitsfähig versteht. – Ich hatte erst * Frau Stühler zu benachrichtigen, sie erschrak wilder als über den Tod des * Mannes u. raste mit starren Augen fort, Freunde für ihren * Bernhard zu alarmieren. Dann fuhr ich, ich durfte fahren, mit einer Liste von neun Namen ins Bahnhof- u. Strehlener Viertel. Simon , nur erst halb bekleidet, bewahrte gute Fassung, während seine sonst robuste * Frau fast
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