Klemperer, Viktor
4/III. Radio utriusque 4 (Sonnabend). Zöberlein .
Die Dresdener Vernichtung am 13. u. 14 (Di., Mi.) II 45
Piskowitz 22/II–24/II 45
Wir setzten uns am Dienstag Abend gegen ½ 10 zum Kaffee, sehr abgekämpft u. bedrückt, denn tagüber war ich ja als Hiobsbote herumgelaufen, u. Abends hatte mir * Waldmann aufs bestimteste versichert (aus Erfahrung u. neuerdings aufgeschnappten Äußerungen), daß die am Freitag zu Deportierenden in den Tod geschickt (auf ein Nebengleis geschoben) würden, u. daß wir Zurückbleibenden 8 Tage später ebenso beseitigt werden würden – da kam Vollalarm . Wenn sie doch alles zerschmissen! sagte erbittert * Frau Stühler, die den ganzen Tag herumgejagt war, u. offenbar vergeblich, um ihren Jungen freizubekomen. – Wäre es nun bei diesem ersten Angriff geblieben, er hätte sich mir als der bisher schrecklichste eingeprägt, während er sich jetzt, von der späteren Katastrophe überlagert, schon zu allgemeinem Umriß verwischt. Man hörte sehr bald das immer tiefere u. lautere Summen nahender Geschwader, 1 das Licht ging aus, ein Krachen in der Nähe .. Pause des Athemholens, man kniete geduckt zwischen den Stühlen, aus einigen Gruppen Wimmern u. Weinen – neues Herankomen, neue Beengung der Todesgefahr, neuer Einschlag. Ich weiß nicht, wie oft sich das wiederholte. Plötzlich sprang das dem Eingang gegenüber gelegene Kellerfenster der Rückwand auf, u. draußen war es taghell. Jemand rief: Brandbombe, wir müssen löschen! Zwei Leute schafften auch die Spritze heran u. arbeiteten hörbar. Es kamen neue Einschläge, aber vom Hofe her ereignete sich nichts. Und dann wurde es ruhiger, u. dann kam Entwarnung. Zeitgefühl war mir verloren gegangen. Draußen war es taghell. Am Pirnaischen Patz, in der Marschallstr. u. irgendwo an oder über der Elbe brante es lichterloh. Der Boden war mit Scherben bedeckt. Ein furchtbarer Sturmwind blies. Natürlicher oder Flamensturm? Wohl beides. Im Treppenhaus der Zeughausstr 1 waren die Fensterrahmen eingedrückt u. lagen z. T. hindernd auf den Treppen. Bei uns oben Scherben. Fenster eingedrückt auf der Diele u. nach der Elbe hin, im Schlafzimmer nur eines. Auch in der Küche Fenster zerbrochen, Verdunkelung entzwei. Licht versagte, Wasser fehlte. Man sah große Brände über der Elbe u. an der Marschallstr. * Frau Cohn berichtete, in ihrem Zimmer seien Möbel vom Luftdruck verrückt. Wir stellten eine Kerze auf den Tisch, tranken ein bisschen kalten Kaffee, aßen ein paar Brocken, tappten durch die Scherben, legten uns zu Bett. Es war nach Mitternacht – heraufgekomen waren wir um 11 – ich dachte: nur schlafen, das Leben ist gerettet, für heute Nacht werden wir Ruhe haben, jetzt nur die Nerven beruhigen! * E. sagte im Hinlegen: da sind doch Scherben in meinem Bett! – ich hö
[Klemperer benutzte für sein Tagebuch die Rückseite eines unbeschriebenen Feldpostbriefes.]
hörte sie aufstehen, räumen, dann schlief ich schon. Nach einer Weile, es muß nach 1 Uhr gewesen sein, sagte E.: Alarm. – Ich habe nichts gehört. – Bestimmt. Es ist leise gewesen, sie fahren Handsirenen herum, Strom fehlt. – Wir standen auf, Frau Stühler rief an unsrer Tür Alarm, E. klopfte bei Frau Cohn an – von beiden haben wir nichts mehr gehört 1 – u. eilten herunter. Die Straße war taghell u. fast leer, es brannte, der Sturm blies wie vorher. Vor der Mauer zwischen den beiden Zeughausstr.-Häusern (der Mauer des einstigen Synagogenhofes mit den Baracken dahinter 2 – stand wie gewöhnlich ein Stahlhelmposten. Ich fragte im Vorbeigehen, ob Alarm sei. – Ja. – Eva war zwei Schritte vor mir. Wir kamen in den Hausflur der No 3. Indem ein schwerer naher Einschlag. Ich drückte mich knieend an die Wand in der Nähe der Hoftür. Als ich aufsah, war E. verschwunden, ich glaubte sie in unserem Keller. Es war ruhig, ich stürzte über den Hof in unseren Judenkeller. Die Tür klaffte. Eine Gruppe Leute kauerte wimmernd rechts der Tür, ich kniete links dicht am Fenster. Ich rief mehrmals nach E. Keine Antwort. Schwere Einschläge. Wieder sprang das Fenster an der Wand gegenüber auf, wieder Taghelle, wieder wurde gespritzt. Dann ein Schlag ans Fenster neben mir, etwas schlug heftig u. glutheiß an meine rechte Gesichtshälfte. Ich griff hin, die Hand war voller Blut, ich tastete das Auge ab, es war noch da. Eine Gruppe Russen – wo kamen sie her? – drängte zur Tür hinaus. Ich sprang zu ihnen. Den Rucksack hatte ich auf dem Rücken, die
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