Klemperer, Viktor
zusamenbrach. * Frau Gaehde in der Sedanstr, sehr gealtert, riß die Augen übermäßig auf, öffnete immer wieder den Mund so weit, daß das vorgehaltene Taschentuch fast darin verschwand, u. protestierte wild mit krampfhaftem Minenspiel u. leidenschaftlichster Betonung: sie werde bis zum letzten gegen diese Verordnung kämpfen, sie könne nicht fort von ihrem 10jährigen * Enkel, ihrem 70jährigen * Mann, ihr * Schwiegersohn sei im Ausland gefangen 4 um der deutschen , der deutschen Sache willen, sie werde kämpfen usw. * Frau Kreisler-Weidlich , vor deren Hysterie ich mich gefürchtet hatte, war nicht zuhause, ich warf das Blatt erleichtert in den Briefkasten. In derselben Franklinstr. hatte ich noch eine Frau * Pürckhauer aufzusuchen. Ich traf sie mit ihrem arischen u. tauben * Mann. Kleine Leute. Sie waren die ruhigsten von denen meiner Liste. Schlimm war trotz ihrer Beherrschtheit eine * Frau Grosse in der Renkstr., hübsches Villenhaus an der Lukaskirche. Eine Frau mittleren Alters, eher damenhaft; sie wollte ihren * Mann anrufen, stand hilflos am Telephon: ich habe alles vergessen, er arbeitet in einer Confiturenfirma ... mein armer Mann, er ist krank, mein armer Mann .. ich selber bin so herzleidend ... Ich sprach ihr zu, es würde vielleicht nicht so schlimm, es könne nicht lange dauern, die Russen stünden bei Görlitz, die Brücken hier seien unterminiert, sie solle nicht an Tod denken, nicht von Selbstmord reden ... ich bekam endlich die notwendige Quittun Empfangsunterschrift u. ging. Kaum hatte ich die Corridortür geschlossen, hörte ich sie laut weinen. Ungleich jämmerlicher noch der Fall * Bitterwolf 1 in der Struwestr. Ebenfalls ein armseliges Haus; ich studierte gerade vergeblich die Namenstafel im Hausflur, als eine junge blonde dümmlich stupsnasige Frau mit einem niedlichen gutgehaltenen * Mädelchen von vielleicht vier Jahren kam. Ob hier eine Frau B. wohne? Das sei sie selber. Ich müsse ihr eine böse Mitteilung machen. Sie las das Schreiben, sagte ganz ratlos mehrmals: was soll denn aus dem Kind werden?, unterschrieb dann still mit meinem Bleistift. Inzwischen drängte sich das Kind an mich, reichte mir seinen Teddybär u. erklärte strahlend vergnügt: mein Teddy, mein Teddy, sieh mal! Die Frau ging dann mit dem Kind stumm die Treppe hinauf. Gleich darauf hörte ich sie laut weinen. Das Weinen hielt an. – Ein sehr armseliges Haus war auch die Werderstr 29. Die * Frau Tenor dort, sagten Frauen auf der Treppe sei nicht anwesend, aber ganz oben solle ich ihre Freundin aufsuchen. Eine kränkliche junge geradezu fein aussehende Person in sehr kümmerlichem Zimmer unterm Dach. Sie sprach sehr besorgt, ihre Freundin habe das immer gefürchtet, werde Selbstmord verüben. Ich predigte eindringlich Mut, sie möge der Freundin Mut machen. – Im Hause Strehlener Str 52, wo wir wiederholt bei * * Reichenbachs u. bei * * Seligsohns 2 gewesen, hatte ich einer * Frau Dr Wiese 3 den Befehl zu überbringen. Mir öffnete an ihrer Statt eine imposante Matrone in Hosen, eine * Frau Schwarzbaum. Sie erzählte, u. ich erinnerte mich des Falles, daß ihr eigener * Mann im vorigen Jahr um der Verhaftung durch die Gestapo zu entgehen, zusamen mit * Imbach (cf. das Tgb vom Lothringer Weg) Selbstmord begangen habe. – Zuletzt suchte ich vergeblich das winzige Haus Bürgerwiese 7, winzig, weiß, armselig, alt zwischen stattlichen Nachbarn, nach einer * Frau Weiß ab. Die Bürgerwiese darf von Sternjuden nur im Zuge der Lüttichaustr überquert, sonst nicht begangen werden; ich bin also dort seit Jahren nicht mehr gewesen. – – Eben war * Frau Jerisch mit ihrer jungen * Tochter hier, von der sie sich trennen muß. Auftrag von * Neumark: die Frau Weiß wohne bei ihrer * Mutter Kästner; ich muß gleich noch einmal hin.
Gegen 19 h . Die Frau Kästner wohnte im Keller des Hofseitenflügels, man sieht hinter dem Hof eine merkwürdige kleine alte Kirche. Ein sehr junges dunkles * Mädchen 4 öffnete mir, sie las das Schreiben ganz resigniert. Ja, ihr sei schon alles gleichgültig, nur unterschreiben wollte sie nicht, ehe die Muttel das gelesen hätte. Ob ich nicht wiederkomen wollte. Ich sagte, das sei mir unmöglich, ich mußte sie dann eine ganze Weile zur Quittungsleistung drängen. – Bei * Neumark war das ganze Büro mit Deportanden besetzt, ich reichte Paul Lang, * Rieger, * Lewinsky die Hand – Sie kommen auch mit? Nein?, da war schon eine Kluft zwischen uns. Ich ging einen Augenblick zu * * Eisenmanns
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