Klemperer, Viktor
Weilchen darauf. Aber nicht der Mutter sagen! Sie verbietet es.[] Der Junge, ungemein klein für sein Alter, fast zwergenhaft, zeichnet u. tuscht hübsch, fast immer Blumen, er spielt auch hübsch. Aber die Mutter begegnet ihm geradezu feindselig u. mit * Marka, der ganz unausstehlichen, verträgt er sich schlecht. Zu uns, ganz besonders zu E., ist er zutunlich. Er u. nun schon etliche seiner Kameraden haben ihr das Rauchen von Brombeerblättern abgesehen. Ich glaube, damit allein schon hat sie sein Herz gewonnen. –
Die Nazis heißen hier: Die Gelben . Der Gelbe in Kamenz, der Kreisleiter * Dietzmann, ist verhaßt. Ein Müllergeselle, wegen Wilderns etc. 17 x vorbestraft; er soll sich dessen selber gerühmt haben: ich bin 17 x vorbestraft u. habe es doch so weit gebracht!
Seit gestern Lektüre des * Bienenbuchs. Plan eines Sonderartikels oder Sonderabschnitts über die Bücher hier im Dorfhäuschen.
Abends . Bei beginnender Dämmerung machten wir, (leider nie ohne den lauten Quälgeist Marka) einen kleinen Spaziergang, Landstraße in etwa südlicher Richtung an den grünen Baracken vorbei, die gestern noch Maidenlager waren, heute als Kraftfahrpark bezeichnet sind. Acker zur Linken, Nadelwald zur Rechten, Birkenwald vor uns. Ein langer Treck kam uns entgegen, Planwagen, angehängte Kutschen, auch ein angehängtes Auto, an das Hinterteil einer Kutsche ein Kinderwagen geschnallt. Alles gut bespannt. Der ganze Zug war bezeichnet als Güterverwaltung Bunzlau, Vorwerk .. Ich sagte, er sehe trübselig aus. * E. erwiderte, da sei doch noch etwas gerettet, u. die Leute reisten mit ihrer Habe romantisch im Wohnwagen. Wir dagegen hätten nichts mehr. Vorher waren wir einem Einspänner begegnet, wahrscheinlich mit dem ansehnlichen Inspectorsehepaar, einen hübschen Hund zwischen sich. Der Mann, fast Herr, fragte nach dem Ortsbauernführer u. E. wies ihn an * Krahl. Als wir zurückkamen, stand der lange Zug auf der Landstraße, u. seine Spitze begann eben in den Hof des Barackenlagers einzuziehen. – Haltende Organisation! Und haltende Front. Zuhaus sprach ein Soldat in wendischer Sprache vor u. sammelte erfolgreich für die Winterhilfe. Haltende Organisation!
* Agnes hatte erzählen hören, Breslau wehre sich nun schon zehn Tage unter Einsatz der Hj gegen den russischen Sturm, es sei Kampf bis zum letzten Mann befohlen worden, u. der Befehl werde befolgt.
Beim Kaffee hatten wir den alten Vater * Zschornak hier. Er sprach gläubig von Prophezeiungen der Königin von Saba; er fragte sich, ob der Krieg noch in diesem Jahr zuende gehen werde, die Soldaten im Dorf (Rosenthal) hätten gemeint, er könne noch lange dauern.
– Mir ist schwer ums Herz.
Montag nach Tisch 26. Februar .
Die ganze Nacht durch u. den ganzen Tag heftigster Sturm, meist Regensturm. Ich lag gegen Morgen lange wach mit drückenden Gedanken. Mit jedem Tag wird die Gefahr für mich größer, morgen sind 14 Tage seit der Katastrophe verflossen, überall arbeitet die Organisation, u. ein Kriegsende ist weder im Osten noch im Westen noch im Innern abzusehen. * Hitler soll wieder gesprochen u. eine Kriegswendung für dieses Jahr angekündigt haben 1 .
Wie lange kann ich hier unangefochten bleiben? – Im Hause wurde es früh lebendig, weil die Soldaten abzogen. Reste einer vernichteten Division, die irgendwo neu aufgestellt werden soll. Ich fragte unsern Mann, ob er den letzten Heeresbericht kenne. Antwort: Ja, Breslau halte sich den zehnten Tag seit der völligen Einschließung, von unserem Abschnitt (Görlitz) sei nicht die Rede. – Ich aß sehr viel zu den bisher zwei Mahlzeiten, einmal ging ich hinaus u. sah zu, wie Jurik ein hasengroßes Kaninchen schlachtete – keine Tierquälerei, kein Schmerzenslaut, zwei Hammerschläge auf den Kopf, es rollt zur Seite, ein Stich in die Kehle – u. stolz vergnügt mit roten Händen pelzte u. ausnahm, die Augen für die Hühner, die Därme für den Hund.
Die ganze übrige Zeit ging ich das Bienenbuch durch, dessen autobiographische u. nationalökonom. Einleitung ich genau gelesen habe: * August Baron v. Berlepsch: Die Biene u. ihre Zucht mit beweglichen Waben 3. Aufl. Mannheim 1873. Einleitung datiert Coburg 15. 8. 1868 . Was interessiert mich daran, wo mir doch alles vorausgesetzte Technische der Angelegenheit fremd ist? 1 ) daß dies Buch hier als einziges neben einer alten katholischen Unterhaltungszeitschrift, der Stadt Gottes von 1893, dem wendischen Gebetbuch u. den natsoc. Schulbüchern der
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