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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Natsoc. steht: bei einer romantisierenden Verherrlichung der Lebensnähe, der Gefühls- u. Charakterbildung, des Volkstümlichen, des * Rousseauistischen. 3) Die Sprache des so gerichteten Volksschullehrers: Gemütscliché + überbetonter Wissenschaftlichkeit ist unmittelbar in die LTI eingegangen. Z.B. Die Arbeitsschule lehre deutsch im lebendigen unterrichtlichen Wechselgespräch u. aus vielerlei Nötigungen des Unterrichts heraus, die zwingen, den Dingen in mündlicher od. schriftlicher Darstellung beizukomen. Damit sichert er die Beherrschung der Sprache mehr, als wenn die Kinder sie bloß im trockenen gramatischen System u. an blutleeren Beispielsätzen kennen lernen. 52 – Wenn an einer Versuchsschule zum festlichen Empfang der Jüngsten gerüstet wird, hängen die Kleinen knalligbunte Tütchen .. an einem ergrünenden Birkenbäumchen auf – die oberste Mädchenklasse ersinnt (!!) ein Dutzend Märchen u. schreibt sie fein säuberlich in ein selbstgefertigtes Buch; die besten Malerinnen illustrieren es anschaulich u. freudeweckend: kurz, alles ist geschäftig, um den Kleinen einen Spaß zu machen, für alle ist deren Aufnahme ein lebensvolles Ereignis .... Und sollte nicht auch der Charakter aller Beteiligten gewonnen haben? 51 (Der Weg zum Charakterlichen) – Speiübles hohes Vorbild dieses Stils: es heißt von der neuen Schule, von ihrem neuen Verhältnis zwischen Lehrer u. Schüler: Hier erfüllen wir * Spranger 1 : ‹Erziehung ist der von einer gebenden Liebe zu der Seele der anderen getragene Wille, ihre totale Wertempfänglichkeit u. Wertgestaltungsfähigkeit von innen heraus zu entfalten.› 49
    Diese Notizen sind eine heroische Ausnutzung des Vormittags; die kleine Marka macht den übelsten Lärm, Jungens waren auch im Zimmer, draußen war Alarm .
    Nach Tisch Fünf Klöße mit einer Buttersauce u. Compott haben erhebend gewirkt; dann hat, zum Schneidern komend, die ledige * Schwägerin den Mut wieder gedämpft, indem sie berichtete, daß die Russen bei Görlitz aufgehalten seien. Doch mußten bereits alle Ortstafeln der Umgebung entfernt werden. – Ich will nun, während * E. schläft, im Schreckensnachtrag fortfahren.
     

 
    Sonnabend Nachm. 24. II 45
     
    Sturm u. Regen die ganze Nacht, den halben Tag, u. jetzt verdüstert es sich schon wieder. Bei der feuchten Luft, der blassen Tinte, dem lappigen Papier wird das Schreiben immer schwieriger. Ich brachte heute den Nachtrag Dresden, Klotzsche zuende; Gott weiß ob er sich auf die Dauer entziffern läßt. – Es geht jetzt nur noch am Sonnabend ein Auto von hier nach Kamenz u. zurück, ½ 7 hin – 13 30 zurück. (Früher tägliche Verbindung) * Agnes benutzte es, um sich untersuchen zu lassen. Der Arzt erklärte ihren Zustand für harmlos. Sonstige geplante Einkäufe mißglückten ihr völlig. Nicht einmal ein Hornhautmittel in der Apotheke war aufzutreiben. Semmel[n] werden nicht gebacken, weil Hefe fehlt. Alles kam nach Kamenz aus Dresden, u. aus Dresden komt nichts mehr. – Aber die Stadt lebt doch. Agnes traf eine Schwester der schönen * Maria, die den * Harfenbauer am Jagdweg geheiratet hat, u. der wir vor Monaten begegneten – sie war bei der Post. Sie ist ausgebombt aber unversehrt. Agnes ließ ihr sagen, sie solle einmal herkommen, wir seien hier .. Wie lange wird auf solche Weise mein Aufenthalt unbeachtet bleiben? – –
    Habe ich denn nun in all meinen Nachträgen, die ich kaum entziffern kann, den * Hauptmann von Köpenick erklärt? Ich meine die Filmscene, 1 wie ein Notleidender am Bahnhofsabort rüttelt, bis der umgekleidete Voigt hoheitsvoll als Major heraustritt. Am Do Morgen in Klotzsche hieß es: Legen Sie doch ab zum Essen! Ich sagte, ich wollte mich erst ein wenig einwärmen u. den Mantel zur Suppe anbehalten. Danach ließ ich mir * E. s Taschenmesserchen geben u. ging damit aufs Clo. Einen Augenblick befürchtete ich[,] der Stern könnte seine Umrisse auf dem weichen schwarzen Stoff hinterlassen haben wie ein Rahmen an der Wand. Aber es war nichts zu sehen. –
    Immerfort gehen uns die Namen der Dresdener Bekannten durch den Kopf, wahrhaftig u. buchstäblich bei Tag u. Nacht. Wer ist gerettet? Und immer ist mein innerlicher Refrain: Bin ich geretttet? Die Ungewißheit zerrt an den Nerven. Welche Behörde arbeitet in Dresden, wen sucht man, welche Unterlagen hat man, wen hält man für tot? Ist mein Non-incognito Wahnsinn oder frechste Klugheit?? Und immer wieder: wann komen die Russen?
    Abends . Beim Frühstück – *

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