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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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aufgeweichten Straßen durchaus kein Offensivwetter.
    * E. macht allerhand Eventual-Fluchtpläne, wir haben eben auch eine Zeile an * Annemarie geschrieben. * Agnes wirft den Brief in den Postkasten zu Großbaselitz: aber es droht doch von Stunde zu Stunde die grauenhafte Gefahr, daß jemand hier eintritt: Sie sind ... Sie haben mit mir zu gehen. Weiß ich, nach wem von Dresden aus gefahndet wird? Vielleicht kümert sich keine Seele um mich, vielleicht kann ich viele Wochen hier ruhig leben, vielleicht avant que l hémistiche. 2 Buchstäblich bei Tag u. Nacht quält das.
    Wir, d.h. Agnes, die * * Kinder u. wir zwei gingen gestern Abend gegen 20 h durch das dunkle, regennasse, verschlamte Dorf zu * * Rothes. Vom Haus selber konnte ich nichts erkennen. Innen eine halbbeleuchtete Wohnstube, dann eine Wohnküche.
    Primitiv, aber doch mit einem alten roten Plüschsopha staffiert. Ein Küchentisch am Fenster, einer beim Herd. Neben einem Schrank auf besonderem Tischchen das Radio. Rothe mit halblanger Pfeife daran drehend u. suchend. Ein halbes Dutzend Leute im Zimmer, Frauen, Mädchen, Jungen, Komen, Gehen, man unterhält sich, wird zur Ruhe gewiesen, hört zu, schreibt etwas, schläft ein, hört wieder ... Offenbar gewohnte Zusammenkunft u. Abendbeschäftigung. Sozusagen Spinnstube. Erst ein deutscher Lagebericht. Wir sind einig – werden siegen – retten Europa etc. etc. Die alte Leyer. Rothe sucht. Ein Stück sehr deutliche Rede: der Gewinn geht Millionen- Milliardenhaft in die Tasche der Unternehmer, der Arbeiter ist um seinen Anteil, um seinen 8Stundentag betrogen – Raub u. Betrug der Nazis! Der westdeutsche Soldatensender sagt Rothe .. Luftlagebericht: Kampfverband Braunschweig, Magdeburg, Dessau, Brandenburg .. Indem komen schon Leute von draußen: Alarm! .. Rothe sucht weiter: Starke Störung, aber darüber hinweg doch deutlich in deutscher Sprache England (wie R. sagt). Man hat Berlin mit 2 000 Flugzeugen angegriffen 1 u. soundsoviele tausend Ctr. Dynamit abgeworfen, man steht 17 km vor Köln (immer noch vor Köln!), die Russen habe[n] 15 Häuserblocks von Breslau genomen, sie haben im Samland 57 deutsche Panzer abgeschossen ... das ist tout comme chez nous. 2 Zurechtgemachte Bagatellen, nichts Entscheidendes, die deutsche Front hält – so rätselhaft, daß sie ebensogut noch Monate halten kann. Dann: Wir bringen, auf Schallplatte übertragen, die Aussage eines kriegsgefangenen deutschen Soldaten. Ausgearbeitete Rede: man betrügt euch, droht euch mit Greueln der Gegner, der Krieg ist verloren, macht Schluß, ihr werdet nicht grausam behandelt werden, usw. usw. Von solchen Ansprachen hat mir * E. schon vor Monaten erzählt. Sie sind nicht überzeugend u. helfen nichts .. * Rothe sucht. Um 21 h soll USA komen. Eine lange holländische Rede, eine lange tschechische Rede, Brocken Italienisch, ein paar Sätze Französisch, Pfeifen im Apparat ... Es ist sehr heiß im kleinen Raum, u. alles döst. Endlich 4 Klopftöne, von denen mir E. früher einmal gesprochen gesprochen hat, das Zeichen USA s. 3 Laute Störungsgeräusche, unverständliches Wispern ertrinkt in diesem Brausen .. * Agnes u. ich geben das Zeichen zum Aufbruch. – – Das Charakteristische an dieser Sache ist ihre Selbstverständlichkeit für die Piskowitzer. So kommt, so hört man offenbar oft u. in vielen Häusern zusamen. Es ist weder aufregend noch gefährlich. Alle tun es, sagte mir heute Morgen * Juri k , als er lachend citierte: Die Nazis lügen, u. als ich ihm erklärte, er möge vorsichtig sein, es stünde der Tod darauf. Alle tun es, in vielen Häusern werde gehört, niemand verrate den andern. Das ist nun freilich slavische Ecke, in der Spinnstube wurde fast durchweg wendisch gesprochen. – Das Ergebnis für mich, ich muß es immer wieder sagen, trostlos. Denn wenn sich nicht das Wunder eines inneren Umsturzes ereignet, bleibt nun die Frühjahrsoffensive abzuwarten. Und es sieht gar nicht danach aus, als hätten es die Russen an unserem Frontstück eilig. –
    Auf dem Schreibtisch hier steht ein Pappcarton mit allerhand Schreibpapier, = Utensilien, Briefen, Dokumenten. Daraus hole ich mir Papier für diese Notizen, dito Closetpapier. Dazwischen fand ich einen 3 Seiten langen Brief, den der inzwischen in amer. Gefangenschaft gekomene Älteste, der natürliche * Adoptivsohn feu * Michaels es aus dem Lazarett Januar 44 Frankreich an die Eltern schreibt, als Condolenz zum Tode des jüngsten Brüderchens * Benko. Eine hübsche Handschrift,

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