Klemperer, Viktor
Besuch. Er brachte ein medizinisches Taschenbuch für Apotheker mit. Im Albertinum hatte ich einen Soldaten sterben sehen u. gehört; ein Arzt hatte gleichgültig auf ihn [ u. ] heruntergeblickt u. Oedem gesagt, vor einer Woche hatte ich Sch. um genaue Auskunft über Wort u. Begriff gefragt. Jetzt habe ich endlich das Nachschlagebuch gefunden, wo wir Emphysem u. Oedem genau feststellen können.[] Was ich als schreckliches Einzelsterben gesehen, las ich hier als allgemeinen Fall ganz sachlich in seinen Symptomen geschildert: das rasselnde Athmen, die stoßweise Bewegung des Brustmuskels, das Aufhören des Rasselns, der Schaum vor den Lippen. Ich sah den armen Hund vom 14. Februar noch einmal vor mir.
Nach Sch s Besuch u. abgewartetem Alarm zum Essen. Café Meyer hatte Ruhetag, wir fanden unmittelbar daneben eine Fleischerei u. Bierstube * Petersen. Hier scheint jeder Schlächter jetzt auch Gastbetrieb zu haben. Wir kamen in eine kleine von mehr als 30 Leuten überfüllte Stube, das Publikum schien oder stand social etwas tiefer als bei Meyer, aber man wurde von einem freundlichen Meister rasch u. anständig bedient, die Gäste wechselten rasch – er füttere 120 Leute ab, erzählte er – es ging friedlich zu, u. das Essen war genau so gut, übrigens auch zum gleichen Einheitspreis (90 Pf. ohne, 1 M wohl mit Fleisch) wie bei Meyer. Nur eben auch gleich knapp, u. die Kartoffelmarke spielte die Hauptrolle. Man konnte sich eine Tasse ganz dünner Fleischbrühe zusätzlich geben lassen, das füllte für ein Weilchen. –
Die Straße war in ziemlich abgetrocknetem Zustand, so versuchten wir einen kleinen Spaziergang.
Nachm. 15 h . Die Apotheke ist diesen Mi. Nachm. geschlossen, wir sind wieder allein im Privatcontor, in der ganzen Apotheke. –
Ich weiß jetzt, dieser Adolf-Hitler-, già Carolaplatz – auf * Sch s Couverts etc. heißt es: Marienapotheke – die Apotheke am Adolf Hitlerplatz – liegt am Südende der Stadt, die Hauptstr. führt nach N., ihre Verlängerung nach Auerbach, dieser ganze Trakt liegt auf Kamhöhe, östlich (vor unserer Front) u. westlich sind Thäler, in die sich die Stadt u. anschließende Ortschaften hineinsenken, der Bhf. Falkenstein liegt am Nordende im westlichen Thal. Wir gingen bis zum Rathaus die östliche Parallelstr. zur Hauptstr; sie bietet freien Blick ins Gebirge, kahle Hänge u. Waldkuppen, beides schneedurchzogen. Jenseits des Rathausplatzes, einer spitztürmigen Kirche gegenüber gibt es eine merkwürdige Anlage: einen natürlichen unregelmäßigen Felsen, dem man ein viereckiges Mauerwerk aufgesetzt hat. Darüber riesige Flaggenmaste mit den Hoheitszeichen der NSDAP, davor Denksäulen für 1914–18 u. 1933, davor ein Hügel für die Gefallenen dieses jetzigen Krieges mit Kränzen u. Widmungsschleifen – die Schleifen schon aus Papier. Wir stiegen hinauf, von dem oberen Plateau sieht man in ein Dächergewirr, nicht darüber hinweg – aber weit hinaus in das Gebirge. Das hübsche Wetter trieb uns weiter. Aus dem Städtchen wird die Zeile eines angegliederten Dorfes, danach ist man auf freier gewundener, wohlcementierter Landstraße, hügelauf u. -ab[,] aber immer auf Kammhöhe. Und immer wieder von Bauten – Dorfhäusern, Stadthäusern, kleiner Industrieanlage begleitet. Nach einiger Zeit heißt der Ort Elle r feld u. wieder [ wieder ] ein Stück weiter beginnt Auerbach! Vorher ein Bahnübergang, wo wir einen Güterzug abwarten mußten; nachher ein an die Straße tretendes Waldstück. * Trude Scherner sagte mir neulich, es habe die Absicht bestanden Auerbach u. Falkenstein u. alles Dazwischenliegende – von Stadtcentrum zu Stadtcentrum sind es 5 km [–] in eine Stadt zusamenzuziehen. Und tatsächlich ist auch nirgends eine wirkliche Grenze zu finden, die Dichte der Häuserzeile wechselt, aber sie hört nie ganz auf. Verwirrend u. vermischend komt hinzu, daß immerfort Ortschaft u. Ortschaftsstreifen im Thal an der Ostseite u. von dort wieder hügelansteigend zieht. (Der Blick nach Westen ist durch Bergwand abgeschnitten.[)] Landschaftlich wurde ich durchaus an Kipsdorf erinnert. * E. erfaßte das Wesentlich sofort, sie sagte Schmiedeberg, denn wie dieses zieht sich eine Ortschaft im Kahlen u. Tieferen hin, mit einigen Fabriken u. Fabrikschornsteinen, u. jenseits ist kahlerer Berghang mit Waldrand darüber u. im Norden Süden falten sich höhere Waldberge ineinander. Aber, u. das unterscheidet von Kipsdorf, im Norden u. Nordosten hinter Auerbach stehen allerlei
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