Klemperer, Viktor
Bergrücken ziemlich stattlich. Ich habe mich in meinem Leben genug darüber geärgert, daß ich nicht Landschaft, daß ich überhaupt nicht beschreiben kann. Ich will mich auf sonstige Notizen beschränken. Die vielen Fernschilder für Autos, die vielen Gasthäuser u. Cafés am Wege u. in den Orten zeigen deutlich, daß es sich hier um Touristengegend handelt. Aber jetzt ist das allermeiste geschlossen. Und in Auerbach selber, der Ort zerfasert sich über Thal u. Höhe, scheint aber in der Hauptsache im Thal zu liegen (im Gegensatz zu Falkenstein), auch dort bemühten wir uns, ziemlich weit vordringend, vergeblich um eine Conditorei oder einen Gasthof. Wir mußten sehr müde zurück u. fanden erst auf der Weghöhe, näher an Falkenstein als an Au. ein Lokal geöffnet. Dort gab es eine Tasse Kaffee, aber sonst nichts, nicht einmal ein Stück trockenes Brod. Alles ist unendlich knapp durch das unaufhörliche Zuströmen von Flüchtlingen. Es ist schwer[,] die Lebensmittelkarte beliefert zu erhalten. Unterwegs u. in Au. begegneten wir wieder Trecks. Charakteristisch immer die alten Kutschen, die den über Arche[-]artig überplanten, strohausgelegten Leiterwagen angebunden sind, die Rinder als Zugtiere, das Hinterhergehen der Leute. Alles komt noch aus Schlesien. An den Wegrändern die Stan[n]iolstreifen der feindlichen Flieger. Wann werden sie hier angreifen? Die großen Städte sind erledigt, u. in den kleinen drängen sich die Flüchtlinge. Sodann: es wird ja auch immer mehr Industrie hierhin verlegt. Am Wege Falkenstein–Auerbach stehen wiegesagt mehrere Fabriken. Meist heißt es hier Wäschefabrik – aber ob man jetzt noch Wäsche darin macht? Jedenfalls: die Stecke Falkenstein–Auerbach abzustreifen u. zu belegen, brauchte nicht unlohnend für die Feindflieger zu sein. (Als gestern Abend während des langen Alarms ein einzelner schwerer Tiefflieger beharrlich über uns kreiste, war es uns unheimlich genug .. Eben während dieser Notiz kam eine Entwarnung. Den halben Tag hat Strom gefehlt, da hat man eben den üblichen Mittagsalarm entweder gar nicht oder nur in istrada von Mund zu Mund gegeben). – Während der Kaffeerast hörten wir nach Tagen einmal wieder den deutschen Heeresbericht (vom 13. III.) u. zwar in der mir von Schlüter her bekannten Form des Diktats – an wen? D. h. also Satzteil für Satzteil, ganz langsam, mit Interpunktion u. zweimal, danach das Ganze zusamenhängend noch ein drittes Mal. Daraus ging wieder Gutes u. Böses, beides für uns, hervor. Die Amerikaner haben ihren Brückenkopf bei Remagen gehalten, verstärkt u. um einige Ortschaften u. Höhenstellungen erweitert; die Russen haben bei Frankfurt einen Brückenkopf am linken Oderufer. Das sind gewiß wesentliche Fortschritte. Aber nirgends ist Panik, überall Widerstand, u. die Entente komt nur furchtbar langsam vorwärts. – Wir waren gegen 5 h sehr ermüdet zurück, der Eisenofen versagte, u. die nächsten zwei Stunden vergingen bei Vorlesen mühselig. Danach im Privatcontor wurde uns behaglicher. Ich gab die * * Molo -Lektüre endgiltig auf u. nahm * Zweig vor. 1 Zuletzt störte uns der lange Alarm. –
Wir sind in den dreißiger Jahren zweimal bei * Sch. by car gewesen, dabei sicherlich durch Auerbach gefahren; aber es hat sich mir nicht als besonderer Ort eingeprägt. –
Heute den 14. III. bin ich sehr deprimiert. Ich sehe kein Ende ab – Sch sagt stereotyp in einem Vierteljahr, ich sehe nicht, wie ich ein Vierteljahr verborgen bleiben soll. Wozu die Qual der ständigen Angst u. des ständigen Hungerns, wenn ich zuletzt doch totgeschlagen werde? –
Im Parterre von Sch. [s] Privatwohnung haust die Adca u. ist sein Hauswirt. Bisher war die hiesige Zweigstelle geschlossen; ihr Leiter, eben der Hauswirt tat Dienst in der ADCA-Filiale Auerbach. Heute erzählte Sch., daß die Dresdener ADCA hierher, nach Falkenstein verlegt wird u. hier schon morgen oder übermorgen ihre Tätigkeit aufnimmt. An die Dresdener ADCA zahlte ich die Zeughausstr.-Miete. Die Leute brauchen mich deshalb nicht zu kennen, sie werden gar nichts von meiner Anwesenheit erfahren – aber ebensogut kann doch irgendein anderes Dresdener Institut hierher kommen, kann mir doch in jedem Augenblick ein bekannter Dresdener hier begegnen .. Ich sagte Sch. die Gefahr, in der ich schwebe; er war erst ungläubig, er fragte ganz verwundert, ob denn die Nazis solche Bestien wären. Er wird nun wohl vorsichtig sein, aber auch ein bisschen verängstigt verängstigt. –
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