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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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    15 h . * E. schleppt sich sehr elend u. mit zerbrochenen Gliedern herum; das verdüstert den Tag sehr. Von ½ 12– ½ 14 ½ 14 war wieder Alarm , nicht ganz so peinlich für uns wie gestern, aber doch peinlich genug. Wir gingen bei kleinem Alarm zum Essen, ich hatte eine Büchermappe mit, die ich nach Tisch bei * * Sch. s umtauschen wollte. Bei Meyer war Ruhetag, bei Lorenz nebenan das Menu unerwünscht; wir versuchten es mit dem Hôtel Pohlandt gegenüber. Ehe wir bestellen konnten, kam Vollalarm. Um nicht in den fremden Keller zu müssen, gingen wir zu Sch. s hinüber. Seltsame Aufnahme, Sch s sind jetzt die merkwürdigste Mischung aus Herzlichkeit u. peinlichster Unhöflichkeit. Trude öffnete uns, ich bat sie um neue Bücher – gleich! sie wolle nur um der Luftlage willen das Radio einstellen. Es gelang nicht, der Plauensche Sender ist seit gestern außer Betrieb, u. nun schien auch Leipzig gehemmt oder lädiert. Trude führt mich führte mich dann an den Bücherschrank im ungeheizten Zimmer, u. ich griff mir schnell einige Vorlesebände heraus. Trude sagte, sie wolle nun nur schnell nach dem Essen sehen, sie erwarte ihren Mann, u. verschwand. Einen Augenblick erschien eine fremde Dame mit lautem Heil Hitler Die * Frau Dr. Dettke, già Schingnitz, vordem Norma Keller. Man versicherte sich gegenseitig mit Händedruck, man habe sich nach so langer Zeit nicht wiedererkannt, u. wechselte im übrigen kein Wort miteinander. Frau Dettke versuchte ihrerseits etwas aus dem knatternden Funkapparat herauszubringen, ebenfalls vergeblich, stellte ihn ab, daß man wenigstens hören könnte, wenn es draußen summe, u. verschwand ohne Gruß. Inzwischen war Hans Sch. hereingekomen. Muttchen hat sich schon schlafen gelegt, u. ich muß jetzt hier schlafen. Ihr müßt Euch ganz still verhalten – u. damit schlief er schon. * Eva lag in einem Fauteuil am Ofen u. ruhte sich, ich las im Conversationslexikon über * Hus u. die Hussiten 1 nach – ohne sonderlichen Gewinn, denn es wurde nicht klar, wie der Reformgedanke, der tschechische Nationalismus u. die wilden Erobererzüge zusamenhängen; bedeutsam war mir nur, daß geistig die Tschechen für die Reform, die Deutschen für die katholische Kirche eingetreten sind; es ist mir dadurch die besondere u. primäre Hoheit des Germanentums wiedermal fraglich geworden; u. was die Grausamkeit der Hussiten anlangt, so scheint es im deutschen Bauernkrieg auch nicht sanfter zugegangen zu sein. Ich griff dann nach einer Feldpostausgabe: Erdachte Gespräche 2 von * Paul Ernst u. las darin den sterbenden * Schiller, seine Worte zu * Heinrich Voß. 3 Unendlich flache Üblichkeit, Banalität, aus der nichts haftet. Das vollendete Leben, das Sichdarüberhinwegwissen, eine Erleichterung. Keine Angst, kein Glauben, keine Gewißheit, kein Zweifel – bloß nichtige Worte. – Darüber blies die Sirene Entwarnung, wir verließen das Zimmer auf Zehenspitzen, * Hans schlief, * Trude schlief – wir gingen. Die Straße hinterm Rathaus vorbei, abwärts, nach Norden zu – herrlicher Blick auf dunkle Waldhügel im Osten, auf helleres Hochplateau u ferne Höhenketten im Norden – liegen die Bayrischen Bierstuben. Dort bekamen wir in einem hübschen einfachen Schankraum eine schöne große Kohlrabischüssel. E. brachte es nur auf wenige Löffel, u. mit schlechtem Gewissen aß ich mich ein bißchen satter als sonst. –
    E legte sich gleich wieder auf ihr Warenlager.
    Es kam dann das * Fräulein Rüdiger, sehr gerötet gerötet, immer dicht am Weinen u. gänzlich verstört. Sie hatte die * * Eltern in Zwickau heil vorgefunden, aber die Wohnung stark beschädigt, einen Blindgänger vor der Haustür; das Haus gegenüber völlig rasiert – 14 Tote darunter – mehrere Punkte der Stadt böse zugerichtet, die Autofabrik Horch getroffen, der Bhf. getroffen. Sie hatte nicht bis Zwickau mit dem Zug gekonnt, war das letzte Stück hin, u. heute den ganzen Weg zurück, von früh bis Mittag, geradelt. Sie fürchtete sich nun vor Scherner u. dankte uns demütig, daß wir uns für sie verwendet hätten. Ich beruhigte sie, es werde bei einer Strafpredigt bleiben. Nachher war noch die * Dumpies oben; sie verstehe den Chef nicht, er sei so herzensgut im allgemeinen, u. manchmal dann wieder so uneinsichtig schroff u. verständnislos, u. die Chefin sei noch viel härter. (Das sagt Sch. auch: meine Frau ist nicht vom Rechtsstandpunkt abzubringen, sie ist preußisch ). Wir redeten zum Guten, der leidende Chef u.

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