Klemperer, Viktor
Reichshauptstadt erreichten! – – Die angloamerik. Ankündigung ist also nie über Superbomber u. Fliegende Festungen hinausgegangen u. hat diese Ankündigungen auch [nie] furchtbar realisiert. – – Dagegen ist zu halten, wie jetzt, seit seit Monaten u. immerfort mit märchenhaften u. geheimnisvollen Andeutungen neuer Waffen, nie dagewesener Zaubermittel der sinkende deutsche Volksmut stimuliert wird. Wenn der Zauber von V 2 verblaßt, taucht das magische 2 000 km-Flugzeug auf (cf. den Tierarzt * Honigmann), das Absaugen der Feindgeschwader usw. usw. Je schwächer die tatsächliche deutsche Position wird, je mehr es an Raum u. Material mangelt, tatsächlich Erfundenes in genügender Menge zu produzieren, um so geheimnisvoller u. phantastischer werden die Propaganda-Ausstreuungen. Das V = zählen, der vage Ausdruck Neue Waffe sind viel stärkere Reizmittel als die concreten Ausdrücke: Superbomber, Fliegende Festung. Der Nationalsozialismus hat die Propagandasprache von USA gelernt u. hat seinen Lehrer darin weitest übertroffen. – –
Ich fand auf * Sch s Schreibtisch ein kleines Buch ohne Datum, soll aber gegen Ende der dreißiger Jahre erschienen sein: Das ärztliche Teerecept, Hg. von der Deutschen Apothekerschaft, Abteilung für Eigenpraeparate ‹Stada› Ich notiere einige Sätze aus der Einleitung, die ungeheuer charakteristisch sind für das Überallhindringen der natnoc Gesinnung, der natsoc. Zersetzung ehrlichen u. wissenschaftlichen Denkens, der LTI, u. der Wechselwirkung zwischen LTI u. natsoc Gesinnung. Ich unterstreiche, was die Fachwissenschaft in natsocialistischen Fusel taucht, ich unterstreiche, was die Capitulation vor der natsoc. Gesinnung verschleiernd andeutet.
Unverkennbar läßt sich in weitesten Kreisen unseres Volkes ein inneres Widerstreben gegen das Einnehmen chemo-therapeutischer Präparate erkennen. Demgegenüber ist in jüngster Zeit der Wunsch nach Verordnung natürlicher Heilstoffe, die von Laboratorien u. Fabrikbetrieben unberührt blieben, erneut erwacht u. gebilligt worden. Kräuter u. Kräutergemische, die aus unseren Wiesen u. Wäldern stammen, haben sicher für jeden auch etwas Vertrautes u. Unverfälschtes. Ihre arzneiliche Verwendung bestätigt traditionelle Heilerfolge aus grauer Vorzeit, u. der Gedanke der Verbundenheit von Blut u. Boden stützt das Vertrauen zu heimischen Kräutern.
Auf diese Verbeugung folgt ein Abschnitt wütender Abwehr.
Unter Ausnützung dieser psychologischen Momente hat sich gerade durch die Verwendung heilkräftiger Kräuter u. Thees ein Pfuschertum entwickelt, dessen Ausmaß uns Ärzten vielfach noch unbekannt geblieben ist. Es sind zahlreiche Heiltees im Handel, die eine kritiklose Zusammensetzung ohne weiteres erkennen lassen, aber mit um so größerer Reklame an den Mann gebracht werden ... (O * Schlüter!)
Sofort aber eine neue Verbeugung u. Unterwerfung.
Die Verwendung von Vegetabilien ist in der neuzeitlichen Therapie noch gerade so üblich wie vor dem Aufkomen homöopathischer u. biochemischer Partialbestrebungen (Das heißt doch: ihr sagt uns nichts Neues, wir entwickeln uns u. betätigen uns nach allen pharmazeutischen Seiten. Nun aber der Kotau:) Der Wunsch der Ärzteschaft, die Therapie mit Kräutern u. Tees weiter auszubauen, u. das Bestreben, sich, wo immer angängig, den Wünschen u. natürlichen Empfindungen des Volkes anzupassen , tritt bei allen vorwärtsstrebenden Ärzten in Erscheinung . Die Therapie mit Kräutern u. Tees, auch Phytotherapie genannt, ist nur ein Teil der medikamentösen Gesamttherapie, aber ein nicht zu unterschätzender Faktor, um sich das Vertrauen der Patienten zu erhalten u. zu sichern. Das Vertrauen des Volkes zu seinen Ärzten , die sich stets eine exakte, pflichtbewußte u. durch gutes Wissen getragene Arbeitsweise angelegen sein ließen, darf durch Unterstellungen obengenannter Art – (es war vorher die Rede von dem immer wieder verfangenden Gerede von der Giftigkeit chemischer Mittel) nicht erschüttert werden.
Das vorliegende Buch soll nun zusamenstellen, was sich auf wissenschaftlicher Grundlage an Teerecepten verordnen läßt.
Hier liegt also vor die Kette: Zurück zur Natur – zur heimischen Natur – zu Brauchtum, zu Blut u. Boden – zum Völkischen – zum Anti-Intellektuellen – zu Antifabrik, Antigroßhandel. Hier liegt weiter vor: die Capitulation, die halbverhüllte, die verlegene Capitulation von Arzt u. Apotheker (von vorwärtsstrebenden Ärzten) in Sprache u. Handeln
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