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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Kurzum: ich meldete mich bei Stobrob * Strobach zu einem Fahrcurs an, zahlte 60 M. für 12 Stunden, u. begann am 22/XI nach zwei Theoriestunden zu fahren. Erst ging es zum Verzweifeln schlecht, ich kam völlig geschlagen u. durchnäßt nach Hause, dann viel besser – Höhepunkte des Stolzes: eine Fahrt durch die ganze Stadt (ohne Angstgefühl!) bis nac fast nach Pillnitz u. zurück ( * Luthe, der Lehrer, Mechaniker von etwa 40 Jahren, biederer Mann: Sie werden doch noch ein kleener Rennfahrer, Herr Professor!), u. eine kleine Fahrt hier oben mit Eva im Wagen (wenige Minuten), zuletzt wieder verzweiflungsvoll (Ich weiß nicht, Herr Professor, Sie geben immer Gas, wenn Sie es wegnehmen müssen, Sie fahren in jedes Hindernis hinein, Sie können nicht lenken .. etc. etc.) Schuld an diesem Rückfall trug a) der Fehler Luthes, mich die ganze Stunde durch das Gewirr der Innenstadt zu jagen, Biegung um Biegung, was mich furchtbar ermüdete, b) die Depression der Geldsache. – Der Kurs endete, ohne daß ich in die Prüfung gehen konnte, kurz vor Weihnachten. – Dann kam der Trotz über mich. Auch hörte ich von verschiedenster Seite, daß die Prüfung nicht sonderlich schwer sei, u. daß niemand im Anfang wirklich sicher in der City fahre, daß man nach erworbenem Führerschein erst lange für sich übe – verschiedenste Seite, id est: * * * Isakowitze, Zimmermann * Lange, Fuhrmann, Schlackelieferant etc. * Fischer, Kaufmann * Vogel ... Auch fühle ich bei innerer Selbstprüfung, daß das ursprüngliche Angstgefühl eigentlich fort ist. So bin ich dieser Tage zu * Strobach gegangen (das DKW-Geschäft in der Sidonienstr, die große Werkstatt, von der aus wir fuhren, ist in der Polierstr.) u. habe mich für einen zweiten Curs angemeldet, diesmal für 40 M. Er soll spätestens nächsten Montag beginnen, u. nach diesem zweiten Curs will ich – ich will u. muß! – in die Prüfung. Und wenn ich den Führerschein bekome, so will ich Geld von der Lebensversicherung nehmen u. für ein paar hundert M. einen gebrauchten Wagen kaufen u. ihn ohne Garage unter einem Plan im Garten stehen lassen. Das Auto soll uns ein Stück Leben u. die Welt wiedergeben. Ich habe 490 M. Einkomen; ich setze an, es seien 400, u. 90 M. monatlich mag das Auto kosten. Die Belastung der Police soll mich nicht bedrücken. Ich muß dieses Jahr sowieso den Jahresbeitrag von ihr ausleihen, ich leihe also ein paar hundert Mark mehr. Welchen Zweck hat es in dieser Zeit an nächstes Jahr zu denken? Vielleicht bin ich dann ermordet, vielleicht wieder im Amt, vielleicht ist die Versicherung wieder durch Inflation zerstört wie schon einmal, vielleicht – – ich will leichtsinnig sein, ich will es ganz bewußt sein. Wenn ich sterbe, muß eine kleine Pension für * E. dasein, u. in diesem Fall bekomt sie ja auch noch etliche 1 000 aus der Versicherung. Die Hypothek von 12 000? Das Haus ist durch Anbau inzwischen im Wert gestiegen. Kündigen Wenglers nach 8 Jahren, mag eine andere Hypothek zu bekomen sein. Die 6 000 Schulden an * Georg oder seine Erben? Hat Zeit bis zur Fälligkeit der Policen u. wird keine Pfändungsklage bringen. Ich will leichtsinnig sein, bis zum Äußersten – ich glaube es ist in Evas Sinn gehandelt. Es ist so etwas wie eine innere Stimme in mir, die mich vorwärts treibt. –
    Die Pension , das Auto , Nickelchen das waren die großen Dinge dieser letzten tagebuchlosen ein, zwei Monate. Dazwischen war allerlei Kleineres oder Alltäglicheres: Menschen, Lektüre, Kino, der Onkel – das werde ich in einem Nachtrag morgen noch skizzieren.
    Heute bloß noch das schwerwiegende Jahresrésumée 1935.
    Entlassen am 1. Mai 35. Auslandshoffnungen gescheitert. Hausanbau. – 18 Jh. Bd I fertig gestellt. (Das ganze Jahr nur dies geschrieben). Auto-Unterricht. – Tod des Katerchens. – * * Blum enfelds nach Lima. Arbeit an der Correktur seiner Pubertätspsychologie. (Heute die Schreckschußmeldung, die am 19/XII abgesandte Revision sei nicht angekomen. Sofort bei der Post reklamiert) – Immer noch drittes Reich u. sehr gesunkene Hoffnung, das vierte zu erleben. – Überhaupt wenig Hoffnung noch vieles zu erleben: ständige Herzbeschwerden, der Weg parkaufwärts mein tägliches Memento. Rauch = Einschränkung u. sonstige précautions aufgegeben, auch hierin will ich leichtsinnig sein. Geringere Bindung an die Dauer des Lebens. Häufiges Gefühl, daß es ja doch dem Ende zu geht. Es war unser seßhaftestes Jahr, die weiteste Reise führte bis Heidenau.

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