Klemperer, Viktor

viel billiger.[] – Dafür beschäftigen wir mehr Arbeiter, denen die paar Pfennige zugute komen. – Das geht mich nichts an, das Geld ist so knapp, ich muß billig kaufen. – Und Sie wollen Nationalsozialist sein? Sie schlagen unserm * Führer ins Gesicht! – []So: ich bin also verpflichtet dort zu kaufen, wo es am teuersten ist? Und ist Cosa ein verbotenes Geschäft?[] – []Das habe ich nicht gesagt, aber Sie schlagen unserm Führer ins Gesicht.[] – Es ist wohl nicht ganz so, wie Sie sagen ... Beide sahen mich an, als ob sie Einmischung und Zustimmung von mir erwarteten, der Herr mit dem Hakenkreuz sprach sehr ruhig u. sanft, die Frau immer mit der erregten ihr eingehämerten Phrase. Der Herr sagte noch: Ich denke, Sie wollen beide verdienen, Cosa und Tell ... Aber der Partei gehörte er natürlich an. –
    Ausschnitt, lange hier aufbewahrt aus den Dr. N. N. am vom 29. Sept.[:] Parole für den Betriebsappell am 20. 9.[]
    Dein Handeln u. Charakter (sic) bestimmt das Blut, /Weil in dem Blut die Seele ruht! / Hat Dir der Jude Blut u. Seele erst verdorben, / Dann bist Du Deinem Volk u. Vaterland gestorben.[]
    Ein paar Wochen war die Judenhetze abgeflaut. Jetzt wartet der Stürmer schon wieder mit Ritualmorden auf. – –
    * Nora Waln: The House of Exile ist zu ¾ ein ausgezeichnetes Buch. Sie erzählt ihren Aufenthalt als Wahltochter in einer chinesischen Patrizierfamilie in den 20er Jahren. Merkwürdigste Mischung aus Uraltem mit Modernstem. Danach als Frau eines englischen Diplomaten u. als amerikanische Journalistin gibt sie Skizzen aus dem Bürgerkrieg, russischer Communismus :/: 1 Nationalisten, die unplastisch u. wirr sind, jedenfalls rätselhaft bleiben, wenn man nicht vorher über den Ablauf u. die Personen genau orientiert ist – u. ich bin es nicht.
    Jetzt lese ich vor: * Colin Roß: Das Meer der Entscheidungen . 2 Sehr gute Reiseskizzen aus Californien, Japan, China. Nicht impressionistisch geplaudert, wie * Katz das tut, sondern politisch orientiert mit festem Grundgedanken. USA, das seine Rasse schützt, Japan das Expansion durchaus braucht. Interessant aber auch unter 3 anderen Gesichtspunkten. a) Das Buch ist 1925 geschrieben u. poli von der polit. Situation schon überholt, als wäre es 100 Jahre alt. b) Roß ahnt nicht, was sich an Rasse = Ideen in Deutschland vorbereitet. c) er schildert kulturelle Dinge als absolut amerikanisch (das Reisen im Auto, Freifahrten im Auto zur Besichtigung von unb Siedlungsland), die heute in jeder deutschen Großstadt üblich sind. – –
     

 
    9 November Sonnabend .
    * Hitler sagte von den 1923 an der Feldherrnhalle Gefallenen: Meine Apostel. Es heißt heute bei der Triumph = u. Beisetzungsfeier: Ihr seid auferstanden im Dritten Reich. – Es heißt weiter: Die Bauten in der Hauptstadt der Bewegung 1 sind nur ein Anfang. Wir bauen: eine Halle für 60 000 (tausend!) Menschen u. die größte Oper des Erdballs. Und das in einem bankrotten Staat. – Religiöser Wahnsinn u. Reklamewahnsinn. – Und immer u. bei allem die Lüge. Hitlers Dank an den eben aufgelösten Stahlhelm, * Seldtes Dank an H. 2 –
    Der Butterhändler, durchaus Mann aus dem Volk, sagte neulich zu mir: Das Volk darf nicht wissen, wie es um uns steht. Wer ist das Volk? Dieser Kleinhändler u Kleinbürger mit Volksschulbildung, halb ein Hausierer, gehört doch gewiß zum Volk.
    Am 2/XI waren wir Nachmittags bei * * Wenglers . Es machte mir wieder den ungemeinsten Eindruck, wie sie den Radioapparat anstellten u. von London nach Rom, von Rom nach Moskau usw. übersprangen. Zeit = u. Raumbegriff sind vernichtet. Man muß zum Mystiker werden. Für mich zerstört das Radio jede Religionsform u. gibt gleichzeitig Religion. Gibt sie doppelt: a) daß solch Wunder besteht, b) daß der menschliche Geist es findet, erklärt, benutzt. Aber dieser selbe menschliche Geist läßt sich die Regierung H. gefallen.
     

 
    11 November
    * Marta, von Prag komend, war bei uns von gestern 17 35 bis heute 12 45 . Sehr anstrengend u. umständlich, schon allein durch die Fürsorge für die Katzen, vor denen sie sich fürchtet. Nickelchen, noch immer leidend, im Musikzimmer, Muschel über Nacht, sehr verständig, in meinem unserm Bett, * Marta in meinem Zimmer. –
    Sie war friedlicher als sonst, unser Haus gefiel ihr. Sie macht den Eindruck einer schwer leidenden Frau: mühseliger Gang mit mit geschwollen deformen Beinen, mühseliges Sprechen mit zerstörten Zähnen, übermäßige Nervosität, Schwäche. Erst 61 Jahre