Klemperer, Viktor
jetzt gewonnen haben, danken sie ja nur dem Verrat. Wenn wir erst alle unsere Reserven einsetzen, werden sie herausgeworfen, das komt schon! Voces populi, zwei Sozialdemokraten! –
Während die Plauener redeten, hörte man wieder u. wieder aus der Ferne aber deutlich Bombeneinschläge. Wahrscheinlich in Thüringen, sie sind wieder überall gewesen. Dann kam ein Flugzeug näher. Sofort wurde aufgestanden. Unter den Bäumen, dicht am Wiesenrand war eine Vertiefung, da legten wir uns hinein. Das ménage ging tiefer in den Wald, es fanden sich noch andere Leute an, Passanten wurde zugerufen: Herunter von der Straße! In Deckung! Nach einer Weile hörte das Surren auf. Die Plauener Leute waren verschwunden – ihre eigentümliche u. eigentlich herzerhebende Offenherzigkeit! Ein Wort der Denunziation u. sie waren tot am Galgen , Galgen; sie wußten das auch, sie sprachen ja vom Terror der Gestapo u. der(die stehen hinter der Truppe u. erschießen jeden, der nicht vorgeht!). Wir promenierten noch ein paar Minuten, dann kam Entwarnung. – Der Plauener hat uns auch gesagt, daß Plauen noch nicht ganz erledigt sei: die Vomag 1 u. einiges andere hätten sie, aber ein Panzerwerk fehle ihnen noch. Also sei mit Wiederkehr zu rechnen. –
Es war gegen 2 Uhr; wir gingen zur bayrischen Gaststube; der Wirt hatte nichts mehr zu essen, aber Abends sollten wir etwas bei ihm bekomen. Wir gingen zu Meyer; da wurden mehr Nährmittel verlangt, als wir geben konnten. Wir aßen zusamen einen Teller Nudeln. Wir gingen, eigentlich: schleppten uns langsam zu dem Wirtshaus an der Auerbacher Grenze (Augustusruh oder so ähnlich). Es war sehr warm, u. mein Schuhzeug quälte mich maßlos. (Wie soll es mit unserer Kleidung überhaupt werden? Nur ein abgeschabter Pelz u. ein Wintermantel in unserm Besitz, unser Schuhzeug, mein Anzug am Krepieren. Aber was soll dies: wie soll es? Wir schleppen uns von Stunde zu Stunde). Beim Kaffee frischten wir uns ein klein wenig auf, beim Rückweg halfen die milde Luft u. das warme schöne Licht des Nachmittags über den Waldbergen. – Zu Haus * Maurizius. Dann wieder auf Eßjagd. Diesmal erfolgreich u. üppig. Ich verzeichne jede Mahlzeit, denn jedes Mehr- oder Mindersattwerden wirkt auf die Seele. Der freundliche Mann in der bayr. Bierstube setzte uns richtige grüne Klöße, je zwei, sechs wären mir noch lieber gewesen, auf einem großen Teller Sauce vor. Dabei hörten wir ein großes Stück des neuesten * Goebbelsartikels . Noch immer die Freitagsvorlesung, 2 noch immer die gleiche Lüge. Wir werden siegen, der Gegner ist auch am Ende, seine Coalition steht vor dem Zusamenbruch. Danach der Heeresbericht. Immer das schrittweise Vordringen der andern. – Dann unsere große Üppigkeit: ein zweites Essen bei Meyer, Suppe u. Kartoffelsalat; hierbei der oesterreichische Soldat: Endlich um 10 h zuhaus noch ein bisschen Kaffee u. Brod. Endlich mal satt – aber jetzt schon wieder hungrig.
Nachzuholen: in die nicht abreißende Reihe der Trecks brachte gestern Abwechslung eine große Schafherde, gewiß reichliche 200 Tiere. Sie sollte seit 7 Wochen unterwegs sein. Gegensatz, erbitternder, aber wen erbittert er?, zu Trecks, Bombern u. Frontnachrichten: vorgestern Abend hat das Radio unter Fanfaren als Sondermeldung gebracht, so wie das vor Jahren täglich zweimal geschah, daß U-Boote einen Geleitzug bei Murmansk versenkt hätten. Man muß doch damit immer noch wen, u. Millionen Wens, hinter dem ungeheizten Ofen vorlocken. –
Ad vocem ungeheizt: wir sind seit Tagen ganz ohne Gas : das versorgende Werk in Zwickau ist zerschlagen. Aber die Apotheke hat eine Elektrokochstelle.
Nach 15 h. unten . Über Mittag, wir warteten hungrig, der übliche Vollalarm , etwa 11 45 –1 35 ; nur ein paarmal summten Einzelflieger; es war keine Veranlassung nach unten zu gehen; ich las fast die ganze Zeit vor.
Aber * Sch. hätte sich, da die Apotheke bei Vollalarm geschlossen sein muß, sehr wohl bei uns sehen lassen können. Er tat es nicht, er beginnt sich ebenso von uns fernzuhalten wie seine * Frau. Im Turnus mit der Löwenapotheke hat die Marienapotheke Weekend wie vor 14 Tagen; ich ging zu Sch. herunter, er gab mir die Hausschlüssel u. sagte: Also alles Gute bis Montag! Wir sind also ganz isoliert, hier einsam zuhause bis Montag. – Sch. s müssen Angst haben vor der * Norma Dettke, die sie für harmlos gehalten u. als schroff nazistisch erkannt haben dürften. Daß er mit ihrem Mann zusamengestoßen sei, hat mir ja Sch.
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