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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Juden. Das sei dasselbe, u. so sei es schon 1870 gewesen. Der Krieg wäre doch ohne Rotschild 1 nicht gewonnen worden, den Rotschild hat man doch mehr verehrt als Könige u. Kaiser, der hat doch das Geld zum Kriege gegeben. (So als hätte Rotschild Preußen finanziert .. als dankte der preuß. Milit. dem Juden seinen Sieg.) Wiegesagt, es war eine vieldeutige Wirrnis, was der Mann vortrug: aber was in seinem zerweichten Gehirn haftete, war eben die Einheit: England, Freimaurerei, Judentum. – Wir stiegen auf schmalen Pfaden an einer versteckten u. getarnten Fabrik vorbei zur Hauptstr. herunter u. tranken in der Tanne Kaffee. Der Wirt erzählte, er habe vom Berg, vom Wendelstein aus Plauen brennen gesehen. – Wieder hinauf in den wunderschönen Nadelwald u. etwa 2 km weiter nach Süden. Mitten aus der Waldung wie der gesträubte Kamm eines Tieres wächst eine mehrfach unterbrochene aber doch einheitliche Linie nackten Gesteins, das sich schieferartig schichtet aber festerer Fels ist. Es sind Formationen, wie man ihnen in der Sächsischen Schweiz begegnet, nicht ganz so grotesk genadelt aber doch zerklüftet genug. Einer dieser Steine – sofern die Bezeichnung nicht für die ganze Linie gilt – ist der Wendelstein. Er bietet einen überraschend mächtigen u. bedeutenden Rundblick. Über den grünen Wald hinaus, der ihn umgibt, nach W. u. N. u. NO. in weite gewellte gelbliche Hochebene, auf viele hintereinander gestellte Bergzüge; nach Süden u. Südosten auf dichtbewachsene dunkelgrüne ineinandergeschobene Waldhügel hinab.
    Das Umfassende dieses Fernblicks ist in Kipsdorf (bei aller Verwandtschaft mit der hiesigen Gegend) doch nicht zu finden. Auch ist das Hier romantischer, gebirgiger durch die eingestreuten Steine; es bildet gewissermaßen eine Zwischenstufe zwischen Erzgebirge u. Sächs. Schweiz. (Freilich gibt es einigermaßen Ähnliches in Rabenau, aber da fehlt die Weite, der Fernblick, den man bei Kipsdorf von auf Tellkoppenwegen u. bei in Schellerhau etwa hat – nur eben längst nicht so bedeutend wie hier.) Vom Wendelstein aus sahen wir in der Plauener Gegend eine riesige Qualmwand, aber keine Flammen. Einzelne schwarze Papierstückchen flatterten manchmal herunter, die hatte der Wind so weit herübergetragen. – Ich habe in den letzten Tagen mehrmals von Leuten gehört, oft in derber Form: Zum Kotzen!, was wir uns selber so oft sagen: so schön ist es hier, in der Landschaft, im beginnenden Frühling – aber immer ist der Tod über einem, man lebt von Alarm zu Alarm wie ein gehetztes Tier, durchaus menschenunwürdig! Aber nirgends, das beobachten wir jetzt dutzendemale an jedem Tag, in jeder Stunde, nirgends ist Auflehnung. Man nimmt das hin wie eine Hamelherde das Schlachthaus. Und stumpfer als die Hamelherde. Denn die weiß ja nicht, was ihr bevorsteht. Die Deutschen aber wissen u. nehmen doch hin. Von der Kriegslage, vom Heeresbericht ist nirgends die Rede, man hat gar kein Interesse dafür –, es wird auch nicht von Zerstörungen u. Opfern in Nürnberg oder Leipzig oder sonstwo geredet; nur von den Bränden u. den Toten in nächster Nähe, nur davon, ob u. wann sie zu uns komen werden. Das ist ständiger Gesprächsstoff, aber auch darin fehlt jedes Atom von Auflehnung: man kann nichts machen, man muß es hinnehmen, man ist Schlachtvieh. Wobei nie herauszubekomen, wieviel Prozent Angst vor der Gestapo u. wieviel Prozent Propagandawirkung (also Glaube an Sieg, an die neue Waffe, an die Uneinigkeit u. Schwäche der Gegner etc. etc.) an dieser tierischen Seelenhaltung schuld sind. – Auf dem Rückweg sahen wir den allerwunderbarsten Sonnenuntergang. Zwischen den Stämmen des Waldes u. hinter der Rauchwand glühte die Sonne mehr rot als gelb, u. um sie herum war eine große runde Fläche, wie ein hundertfach vergrößerter Hof um den Mond rotgelb oder leuchtend rosarot entzündet. Eine Weile später waren dann noch kardinalpurpurne Flächen u. Streifen da.
    Beim späten u. dürftigen Abendessen – wir können immer immer erst fort, wenn * Sch. geht u. uns den Schlüssel übergibt, hörten wir den Heeresbericht: amerikanische Panzerspitzen bei Hanau, also dicht vor Frankfurt a/M. Das ist nun gewaltiger Schritt auf die Vernichtung Deutschlands zu; aber es nimmt uns nicht die Last von der Seele: mit diesem Volk wird sich dieses Desperado-Régime wirklich bis zum letzten Dorfe wehren. Und wohin mit uns am nächsten Dienstag? Ins Leere, u. dieses Leere ist eng u. bombenüberhagelt. Ich muß mir jede

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