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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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daß er selber kommen könnte, u. nur durch die Flurtür hereinkönnte, war unmöglich zu wissen. Er beruhigte sich. Ich bot ihm an, vor dem 3. 4. abzureisen, wenn wir ihm, wenn wir seiner * Frau Angst verursachten. Ich sagte, Ihr habt Euch fraglos in der Gesinnung der * Frau Dettke getäuscht. Er gestand das ein, man habe sich 10 Jahre nicht gesprochen, nur brieflich verkehrt, jetzt sei Norma von dem * Mann beeinflußt. Aber wir müßten deßhalb doch bleiben, Trude Sch. wolle es auch, wir sollten jetzt einen Spaziergang mit ihm machen, Trude, die vor seinem Toben davongelaufen sei, warte draußen ... Wir gingen – Trude war nicht da. Sie werde vorangegangen sein. Sch. hing so schwer in meinem Arm, daß ich Schmerzen bekam. Wir gingen eine Geländestufe herunter u. dort ein Stück in der Richtung auf Grünbach. In der nun schon vertrauten Landschaft besonders hübsch im starken klaren Licht, beim Rückweg, der Ort vor uns. Knallgrün leuchtete der Rathaushelm, u. Rathaus u. Kirche standen so plastisch u. glänzend da wie auf einem Gemälde. Jeder dritte Mensch, Civil u. Militär, grüßte Sch. mit Heil Hitler u. gestrecktem Arm, u. Sch. antwortete immer in gleicher Weise. Von Trude Sch. keine Spur. Wir mußten Sch bis zur Privatwohnung, mußten ihn die Treppe hinauf begleiten; zuletzt fast schleppen. Wir mußten durchaus auf ein Stündchen eintreten. Trude Sch. war, mit irgendeiner gültigen Entschuldigung[,] nachhause gegangen. Sie nahm uns warmherzig auf, es gab eine freundschaftliche Aussprache, Norma D. ließ sich nicht sehen, Sch. s flehten um Erlösung vom Druck des dritten Reichs, wir erzählten ihnen einige unserer Gestapo-Erlebnisse, sie uns, daß ein Leutnant dersie bestohlen habe. –
    Wir kommen eben beschwingt vom Essen bei Meyer: aus dem Heeresbericht ist schwere Niederlage im Westen zu entnehmen, der Rhein ist breit u. vielfältig überschritten. Vielleicht ist das Ende doch u. trotz allem nahe.
     

 
    Montag Morgen 26. März 45 Falkenstein. Morgens
     
    Wieder eine ruhige Nacht; es ist schon beinahe unheimlich. Dabei waren gestern Abend Einflüge von Norden u. Süden gemeldet.
    * Georg Grabenhorst: Späte Heimkehr. Copyright 38. Feldpostausgabe (Kleine Bücherei) Alb. Langen .
    Dreiß Dreißigstes Tausend einer Feldpostausgabe: unter den geltenden Bestimmungen sicherstes Zeichen, daß man den Mann zu den gegenwärtig Bedeutenden rechnet. Ganz jung kann er nicht mehr sein, denn alle drei hier gesammelten Novellen basieren auf dem ersten Weltkrieg, u. der Autor hat ihn fraglos selber mitgemacht – z.B. der Neid des Infanterieleutnants u. Grabenschweins auf den Flieger-Chevalier u. Pourlemérite-Träger ist sicherlich erlebt. – Von den drei Liebes- u. Kriegsnovellen sind zwei gepflegtes, stilisiertes Mittelmaß, mehr u. sonderlich originell gewiß nicht. Die Liebe der beiden Freunde zum gleichen Mädchen, das eigentlich beider Liebe erwidert, ein bißchen süßlich, ein bißchen pathetisch geschildert, wird als Conflikt durch bequemes Nacheinander – erst fällt der eine, von dem sie ein Kind hat, dann heiratet sie den andern – keineswegs beendigt. Die Gefühle des Kriegsblinden, den das Mitleid, die Rücksichtnahme der anderen seine Ausgeschlossenheit doppelt fühlen läßt u. zur Verzweiflung treibt, sind gut geschildert, aber der versöhnliche Schluß, die Hingabe der Gattin als Brücke zum weiteren Leben ist doch wieder ein bißchen süß u. bequem. Ein bisschen origineller durch spiritistischen Einschlag u. fühlbar balladische Stimmung ist die dritte Novelle – 1. Späte Heimkehr, 2. Die Brücke, 3. Der ferne Ruf. Ein an verratener Liebe seit Jahren laborierender Offizier hört durch falsche Verbindung von Ostende nach Brüssel eine Frauenstimme im Apparat, die ihn sofort tröstet, heilt, mit neuer Liebe erfüllt. Einen ebenso starken Eindruck von seiner Stimme empfängt die Telephonistin in Brüssel. Auch sie ist unglücklich, in der gleichen Schlacht, am gleichen Tage sind ihr Bruder u. ihr Verlobter gefallen; im Traum sind ihr beide Gestalten zu einer zusamengeflossen u. haben mit einer Stimme zu ihr gesprochen; jetzt hört sie die gleiche seltsame Mischstimme aus dem Apparat. Zwischen den beiden gibt es nun wiederholt Abendgespräche, körperlosee Annäherung. Dann fällt der Leutnant am Abend eines Sturmtages als dessen letztes Opfer, u. im Augenblick seines Todes fällt sonderbarerweise am Telephonklappenschrank der Hauptcentrale des Generalgouvernements in Brüssel dieselbe Klappe

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