Klemperer, Viktor
weniger Urkundenfälschung (meint E., u. ich stimme ihr bei, u. sie hat den entscheidenden Federzug vorher geübt) nicht mehr an. Unser Plan ist also der:
B Das Ehepaar Kleinpeter aus Landsberg a/W, danach in Dresden (hier ausgebombt), Piskowitz, Falkenstein ist nach Aussig abgemeldet, weil es dort Bekannte hat u. andrerseits die Scherners neue Leute erwarten (zwei Lehrlinge für die Apotheke u. einen * Bruder Flüchtling 2 ). Wir fahren aber südostwärts nur bis Falkenau u. wenden uns dann über Regensburg nach Schwaitenkirchen. Wir nennen für Regensburg den * Professor Ritter, 3 treffen ihn dort nicht an, müssen weiter u. nennen für Schwaitenkirchen die * * Eltern der * Frau Stühler, die wir wahrscheinlich wirklich dort antreffen, u. die uns gewiß zur Unterbringung behilflich sein würde. Wir wenden uns unterwegs für Quartier an die NSV oder den Ortsbauernführer. Ausweispapiere: die Falkensteiner Abmeldung u. die in Ordnung befindlichen u. nicht nachgeforderten – das macht guten Eindruck! – Lebensmittelkarten.
Ich deponiere dieses verräterische Tagebuch, die Blätter über genau 4 Wochen Falkenstein, heute Nachm. im verschlossenen Couvert als wissenschaftliches Ms. bei * Scherner, auf Abruf, eventuellen Abruf. Ich bin mir bewußt, daß die Durchführung des von E. gefundenen Planes von E. abhängt; sie muß überall die Handelnde u. Sprechende sein, meine Geistesgegenwart oder Ruhe oder Tapferkeit reicht nicht aus, allein wäre ich bestimmt verloren. Ich bin mir durchaus bewußt, wie sehr sie ihr Leben aufs Spiel setzt, um meines zu retten.
Während wir das Tagebuch deponieren, behalten wird wir – wieder E s Entscheidung – trotz der Gefahr einer Gepäckdurchsuchung unsere Pässe u. einen J-Stern bei uns, weil wir diese Alibi- Zeugnisse für unsere Rettung ebenso nötig haben werden wie die arische Kleinpeterei.
Ich will nun im Notieren des Einzelnen fortfahren, comme si de rien n etait 4 .
Es wurde gestern Abend später als beabsichtigt: ich las vor, wir schliefen ein, dann hatte * E. noch etwas auszuwaschen, ehe sie eine Schlußmahlzeit richtete, u. inzwischen blätterte ich für mich, u. als wir das Licht ausknipsten, war es nicht allzuweit von Mitternacht. –
Was mir im Kino am besten gefallen hat, waren meine Augen. Keine Spur einer Lähmung, eines Doppelsehens mehr. Leider habe ich keine Möglichkeit nachzuprüfen, ob ich auch normal zweiäugig lesen u. schreiben kann, denn ich besitze nur noch die eine Brille mit dem mattierten linken Glas; aber bestimmt u. seelenruhig könnte ich wieder am Lenkrad des Autos sitzen. Es ist nur mit den Augen wie mit dem Hut: der dazugehörige Kopf muß erhalten bleiben. –
Wenn ich später einmal das Falkenstein-Bild vor mir sehe, wird immer die Häuserschnur auftauchen, zu der wir nie hinübergelangt sind. Am Osthang gegenüber streben eine ganze Reihe Pfade als weiß-gelbe Streifen sehr steil aufwärts. Der eine davon, etwa dem Ausgang nach Auerbach noch am Ortsende Falkensteins gegenüber ist auf eine ganz seltsame Art einseitig mit Häusern bestellt. Es sind kleine, ganz gleichartige Bauten, mit tief heruntergezogenen schiefrig grau glänzenden Dächern, die Schmalfront gegen den Pfad gestellt, der sich an die Rundung des Anstiegs bis zur Waldkuppe schmiegt. Wenn die Sonne darauf scheint, sind die Häuserchen, in den Boden geduckt, fast unsichtbar; wenn sie sichtbar sind, scheinen sie einer Spielzeugschachtel entnomen, einer billigen in ihrer Winzigkeit u. Gleichförmigkeit.
10 h. oben Wir hören eben, daß heute Nacht Somerzeit (als[o] die Uhr eine Stunde vorgerückt) eingetreten ist; wir hatten diese Umstellung nach einer, nun vom Radio aufgehobenen, Zeitungsnotiz erst für die Nacht vom 2. zum 3. IV. erwartet; so ist es besser für uns, da sind wir unmerklich herübergerutscht u. können uns zum morgigen Frühzug besser ausschlafen. – –
Der Fall * Harms steht nicht allein. Ich notierte die maßlosen Antisemitismen der Velhagen & Klasinghefte, maßlosere als sie zum Postulat des Regimes gehören, denn das wäre durch die Rundschauen über die politische Lage, durch Hitlerglorificationen etc. zu befriedigen. Ich machte dafür den Hg. Dr * Paul Weiglin verantwortlich u. hielt ihn für einen der jungen Männer des 3. Reichs, den man eben dem Verlag aufoktroyiert habe. Nun finde ich im Septemberheft 44 freundschaftliche überschwängliche im Duzton gehaltene Geburtstagsgrüße für Dr. Paul Weiglin Weiglin, den gütigen Menschen, den echten
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