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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Was soll hier im Winter werden? Die Wohnung ist * Eva verhaßt, sie ist im Winter buchstäblich ihr Gefängnis. Auch mir graut vor der Heizerei. Hinzu kommt das Eingehen der Blumen auf einem bestimten Streifen. Eva ist überzeugt von der soviel verlachten Erdstrahlen = Theorie u. tatsächlich ist die Unfruchtbarkeit Dürre usw. eines Streifens in unserm Garten u. unserer Wohnung frappant. Wir haben enorme Verluste an Blumen – ein Riesenkaktus, ein Dutzend großer Rhododendren in wenigen Jahren usw. usw. Bei der völligen Zerrüttung ihrer Nerven bezieht E. alles auf sich: Eingehen der Blumen, Krankheit des Katerchens: Mir glückt nichts mehr. Nur noch selten u. auf sehr kurze Stunden sehe ich sie fröhlich.
    Meine eigene Gesundheit halte ich für verloren. Immer wieder Herzbeschwerden. Ich gehe zu keinem Arzt. Er sagt mir doch nichts, verbietet mir höchstens das Rauchen. * Berthold 1 wurde 59 Jahre alt, vielleicht hält es bei mir ebenso lange. Und bisweilen ist mein sinnloses Grauen vor dem Tode jetzt schon paralysiert durch den vielen Kummer u. die Dumpfheit. Ich sehe keinen Ausweg. Wir sitzen in jeder Beziehung absolut still. Manchmal eine kleine Wagenexpedition * E. s nach Dölzschen, wo sie unseren Zaun streicht. Ich hole sie dann Abends im Auto ab. In Zwischenräumen von Monaten einmal ins Kino. –
    Gäste der letzten Zeit: auf ein paar Stunden (nach mehr als zwei Jahren) zu einem Apotheker = Gleichschaltungs-Tag aus seinem Kleinstadt = Plauen: * Scherner . 2 Unverändert u. mir in seiner kugelrunden Herzlichkeit eigentlich ganz fern u. fremd. Er hat Zahlung eingestellt u. ist doch ganz vergnügt. Irgendwann wird die Apotheke schon wieder flott u. dann tauscht er sie gegen eine Leipziger ab u. verläßt das verhaßte Kleinstadtnest. Er schimpft, er hofft, er ist quicklebendig, dreht sich in seinem winzigen Kreis, ist zufrieden. In Leipzig seine Freunde. Der * Dr. Schingnitz 3 – er ist Führer der Nationalsoz., ihr Vertrauensmann an der Univ. Scherner mag die Nazis gar nicht – aber warum das Schingnitz übelnehmen? Er möchte doch gern vorwärtskommen!
    Pfingstsonntag, -Montag * Lissy Meyerhof bei uns. Unverändert lebensmutig, bescheiden, tüchtig, dabei offenbar gesundheitlich geschwächt, herzleidend. Sie ist – bisher – als Fürsorgerin im Amt geblieben. (Kriegsteilnehmerin, Schwester im Seuchenlazarett)
    * Martha Wiechmann u. ihre jetzt bei ihr wohnende * * Schwester. Ihr Bruder, 4 Mitte 40, parteilos,
    Generalstaatsanwalt am Kammergericht Berlin in den zeitweiligen Ruhestand versetzt mit der Begründung auf diesen Posten müsse ein Nationalsozialist. Am gleichen Abend nach sehr langer Pause Frl. * von Rüdiger hier. Ihr Bruder, Major des alten Heeres, hat einen Posten in der nat. soz Partei. Sie sind total mit den Nerven herunter u. sollten irgendwohin gehen, wo es keine Zeitung gibt, sagte sie zu mir, als sie meine Erbitterung hörte; sie hat keine Ahnung, was eigentlich vorgeht. –
    In der Hochschule sind meine Prüfungen an * Wengler übertragen (ausdrücklich zu meinem Schutz, um mich im Amt zu erhalten), ich lese afrz. Lit. vor jetzt drei Hörern, ich halte meinen Kulturkunde-Eiertanz vor etwa 20 Hörern. Meine eifrigste Schülerin ist die Nazi-Zellenleiterin * Eva Theissig. –
    In den Pfingsttagen war auch * Hans Hirche bei uns, den ich – ich! – zur Reichswehr habe bringen helfen. Sah ausgezeichnet aus u. sprach sehr verständig. Er u. sei[n] Elternhaus offenbar ganz antihitlerisch. In der Reichswehr Mißstimmung gegen SA., Gesinnung häufiger rechts als hitlerisch aber doch auch viel NS – der zwangsweise gepflegt wird. Man kann nicht wissen.
    Zwei Überraschungen angenehmerer Art: * Flitner beginnt gegen alles Erwarten Abdruck meines Erziehungsreferates 1 1931/32. Freilich mit sehr komischen Angststrichen. Wenn ich französische Denkschulung rühme, so muß das fort, auch das Gemüt bleibt besser aus dem Spiel, es könnte ja über die Achsel angesehen sein. – * Walzel 2 (u. das kann über die nächsten 12 Monate entscheiden) schrieb mir, * Heiß 3 sei von seinen romanischen Literaturen um 1850 zurückgetreten, ob ich den zweiten Band managen wollte. 4 Ich schlug vor: * Schürr 5 frz., * Hatzfeld 6 span. u. ich Italien u. allgemeine Einleitung. Ich bin brennend neugierig, wie sich das entwickelt; im tiefsten aber ist mir Ja u. Nein gleich recht. Einerseits pro Italia: Gott weiß, ob meine alten Verträge noch gelten, u. hier wäre ein sicherer neuer. Hier wäre Abwechslung,

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