Klemperer, Viktor
hat, habe ich allen Mut verloren.
30 Juni Freitag Morgen
Zu solchem gänzlichen Mutverlieren liegen natürlich auch persönliche Gründe vor. * Hübner bat (in se[h]r freundlichem, innerlich – zwischen den Zeilen, fast schon in ihnen – schwer bedrücktem Brief) im Namen des Verlages Quelle & Meyer, auf der Publication des Frankreichbildes nicht bestehen zu wollen. Man sei zu sehr von nicht sehr sachverständigen Betriebszellen überwacht, u. die guten Zeitschriften sollten doch nicht ganz ausgeschaltet werden. Ich trat zurück, Resistenz hätte nichts geholfen, gar nichts – aber * Eva meinte: sich zu allem zwingen lassen! Auch nicht den Schein freiwilligen Verzichtes.
Inzwischen nährte ich mich seit ein paar Wochen von * Walzels Angebot: * Heiß bei 1850 zurückgetreten, ich möge Vorschläge machen u. mittun. Ich bot an: allg. Einleitung u. Italien – ich, Frankreich – * Schürr, (vel Hatzffel * Gutkind, 8 vel * Rauhut 9 ), Spanien – * Hatzfeld, * Petriconi, 10 später * Hämel. 11 Schürr schrieb: Frkr. wolle er nicht, aber Italien, die jüngsten seien ihm sehr vertraut. Ob ich nicht einen andern Teil übernehmen wolle. Mir war bei alledem dilematisch zu Mute. Diese Arbeit führt mich auf ganz neues Gebiet u. reißt mich ganz von meinen Franzosen weg. Gut u. ungut! Sie bietet mir sicheres Geld, u. die andern Verträge tun das wahrscheinlich nicht mehr. Aber ich leiste Teubner 12 u. Quelle & M. Kündigungsvorwand, wenn ich nicht ihre Sache primo loco zu rechtzeitiger Ablieferung bearbeite. Dilema, wie mans auch besieht. Nun schrieb gestern, gerade natürlich am 29 (auch hatte * E. Kopfschmerzen, ich, wie schon seit langem greuliche Augenbeschwerden – unser Feiertag!), gestern also schrieb * Walzel: ob ich nicht Schü rr rr Italien seit dem Weltkrieg überlassen wolle; Schürr habe offenbar besonders nahe Beziehungen zur Italia nuovissima, man müsse an alles denken u. den fascistischen Teil vielleicht einem deutschen Gesinnungsgenossen geben. Ich wollte zurücktreten, zumal ich auf * Sch s ersten Brief hin Walzel angeboten hatte, sich eine bequemere Mannschaft zusamenzustellen[]. Aber in W. s Brief stand auch noch: er fühle sich mir im Wort, nur wenn ich mit * Sch. verha etwas vereinbarte, könne er, von sic Walzel, dem Verlag einen andern Mann als mich vorschlagen; Frankr. habe Hatzfeld, Spanien Hämel übenomen. – Eva sagte: Du solltest nur Dawke! 1 schreiben, sonst nichts. Ich schrieb: Zerstückelung würde dem Abschnitt nur schaden, mit Hämel u. Hatzfeld vertrüge ich mich sehr gut, es liege von mir aus kein Grund vor, irgendwas mit Schürr zu vereinbaren. Nun ist das Nein also Walzel zugeschoben, der es sicher auf den Verlag abwälzen wird. (Beide gezwungenermaßen; Walzel selber hat inzwischen von der Leitung der Kleistgesellschaft zurücktreten müssen). Dieses Nein an sich wäre mir nicht so traurig. Ich fühle nicht mehr die rechte Spannkraft, mich ernstlich in ein neues Thema, eine mir weniger geläufige Sprache zu vertiefen; im Französischen nussele ich so weiter. Aber was mich quält, ist der Gedanke, überhaupt nichts mehr publicieren zu können. Auch Quelle & M. u. Teubner werden nichts mehr von mir drucken. Wenn jemand einen Vertrag nicht halten will , entgeht er ihm, mindestens als Verleger, immer. In meinem Fall sehr leicht; ich halte ja keine Ablieferungstermine ein. – Nun geht mir jetzt ernsthaft durch den Sinn, einmal Jahr u. Tag alle wissenschaftliche Schreiberei zu lassen u. mich an meiner Vita zu versuchen. Aber damit wäre der völlige Ausfall des Nebenverdienens, wie er jetzt ja schon vorliegt, gewissermaßen anerkannt, u. ich nähme ihn ohne Abwehrversuch hin.
Die Finanznot aber – im Augenblick 40 M. Bankguthaben! – quält mich entsetzlich. Ich bringe kaum Renten, Zinsen etc. auf, an Bauen ist nicht zu denken, der Vertrag hier bis zum 1/X verlängert, u. vor dem Winter graut uns.
Geradezu komisch u. doch qualvoll die * Sandel affaire. Der Mann hat mich um 240 M betrogen, war weder in Offenbach, noch hat er das Geld abgeliefert, er hat * Praetorius alles zugegeben u. jede Rückzahlung verweigert. Da P.s um die Sache genau wissen, konnte ich ihn schließlich nicht unangezeigt lassen; sonst hieße es: ein Jude schone den andern! Aber welcher Skandal, mindestens welche Peinlichkeit erwächst mir aus öffentlicher Verhandlung. Also endlich, nach x Vermahnungen, Anzeige bei der Kriminalpolizei: Am Sonnabend höchst höflicher Anruf an mich, wenn ich zu
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