Klemperer, Viktor
Auffrischung. Dazu ein Thema, das auch * Eva interessierte, ich würde gemeinsam mit ihr lesen. Ich wäre einmal ganz heraus aus meinem sonstigen Kreis. Ich habe mir schon lange gewünscht, an das moderne Italien heranzukommen. – D altra parte: eine ungeheure Arbeit, zu der ich gar nicht vorbereitet bin, die mich ganz aus meinem Lebenswerk hinausschleudert, u. ich weiß nicht, wieviel Zeit ich noch habe. – Widerum: es ist ganz gleichgültig, womit ich über den Rest meiner Zeit hinwegkomme. Nur irgend etwas machen u. sich selbst darüber vergessen.
– Endlich: am 11. Juni nach genau 3 Monaten auf den Tag wurde das neue deutsche Frankreichbild fertig; gestern u. vorgestern schrieb ich das sehr eigentümliche Nachwort dazu, u. will es heute Abend vorlesen, wo * * Blumenfelds, die jungen * * Köhlers, * * Wenglers 7 unsere Gäste sind.
Den entzückenden * Kiepurafilm: Das Lied einer Nacht 1 (Lugano-Landschaft u. Überfülle von Liedern, Opernarien etc) sahen u. hörten wir ein drittes Mal. (Als man Kiepuras Konzert in Berlin verbot, war er der Jude K.; im * Hugenbergfilm ist er der berühmte Tenor der Mailänder Scala; als man neulich in Prag sein deutsch gesungenes Heute Nacht oder nie auspfiff, war er der deutsche Sänger K.
Ich bin in Correspondenz mit * Prof. I. Ellbogen, 2 orthodoxem Juden u. Schwager des Musikers * Otto Kl. 3 (des Katholiken!) Es wird für die jüdischen Hochschullehrer in London ein Hilfswerk organisiert, Herausgabe von Zeitschriften vor allem scheint es, u. er fragt mich wegen romanistischer u. philologischer Personalien.
Ich las vor: * Ludwig * Wilhelm II. Ich lese jetzt u. habe es beinahe beendet, die Autobiographie (Jugend) * Dreisers. 4
Montag (nach Kolleg vor 3 Leuten) 19/6.
Am Sonnabend las ich mein Nachwort vor. Entsetzen. Wie ich so etwas im Hause behalten könnte. * Köhler riet: hinter einem Bild verstecken. – Aber wohin mit meinen Tagebüchern?
Ich warte von Tag zu Tag. Nichts rührt sich. Manchmal verliere ich allen Mut u. glaube, dies Régime werde doch halten u. mich überleben.
Ich las Dreisers Jugenderinnerungen zuende vor. Viel * Rousseau = Anklang; 5 die Ausbreitung des Sexuellen, der Onanie, der Unterschlagung am Schluß. Viel unklare u. unreife materialistische antiklerikale Philosophie, typisches Denken eines Halbgebildeten u. philosophisch unbegabten Menschen. Aber großartige Schilderung des aufsteigenden Chicago, der Stellensuche, der kleinen Posten in Eisenhandlung, Wäscherei, Vertrieb von allzu teuren Luxusartikeln an kleine Leute. Die Volksschule mit den idealistischen Lehrerinnen, die kindliche Universität in Indiana, wohin den 12jährigen auf ihre Kosten eine Lehrerin auf ein Jahr schickt. Nachher nimmt er wieder Stellen an. Die seltsam verelendete Familie: ein Bruder Trinker u. offenbar Verbrecher, die Schwestern mehr oder minder prostituiert. Der untüchtige (deutsche) Vater u. sein fanatischer Katholizismus, die analphabetische Mutter an der alle hängen, die bis zum Tod alles (zehn Kinder!) zusammenhält. Das ewige Sehnen nach einem neuen Anzug, nach guter Gesellschaft, das ewige Ineinander von sexuellem u. Vergnügungs = u (sehr plattem, sehr bescheidenem) Luxusverlangen. * Dr. hat in seiner amerikanischen Tragoedie 6 in höchstem Maße Autobiographie gegeben: nur balladisch gesteigert, und ohne die dichterische Begabung auf den haltlosen Helden zu übertragen.
Jetzt begann ich: * Nitti Flucht 1 (aus Lipari). Ich warte noch immer auf Entscheidung in der Athenaionsache. 2 Inzwischen arbeite ich Recensionen auf. * Appel 3 * Misanthrope fertig. Jetzt bei * Schröder * Racine . 4 Ich fragte * Hübner 5 an, ob er mein Frankreichbild noch zu nehmen gedenke. Bisher ohne Antwort.
Die Betrugsanzeige gegen * Sandel liegt fertig couvertiert. Ich schicke sie schwersten Herzens ab, weiß Gott, in welchen Skandal ich hineingezerrt werde. Aber was sagen, (u. was tun ) die * Praetorius, wenn ich die Anzeige unterlasse? Sie meinen dann, ich wollte durchaus den Juden decken (worauf Sandel fest rechnet), oder gar: ich müßte es. Eine furchtbare Situation.
29 Juni Donnerstag Abend .
Unter den neunundzwanzig 29. Junis 6 unserer Gemeinsamkeit ist dieser im Grunde der trostloseste; aber wir haben uns ziemlich erfolgreich bemüht ihn mit Fassung zu durchleben. Ich las viel vor. Jetzt am Abend ist zufällig * Karl Wieghardt bei uns. Seit gestern ohne allen Widerstand * Hugenberg gegangen ist u. die Deutschnationale Partei sich selbst aufgelöst 7
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