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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Bedingungen auftreiben. Ich zahlte ihm 240 M, fast den allerletzten Reservepfennig. Dann zerschlug sich alles, der Mann wurde noch unverschämt gegen mich, u. nun weiß ich gar nicht weiter.
    Von Zeit zu Zeit fährt * Eva nach Hohendölzschen, unsern Zaun firnissen, streichen usw. Das Hin- u. Herfahren kostet jedesmal 6 M, ist eine Expedition, befriedigt sie nicht.
    Ich kann nicht weiter. Meine Nebeneinnahmen sind vollkomen versiegt, keine Zeile von mir komt in Druck.
    Ich habe es mir abgewöhnt, nachzudenken. Aber Ich glaube, es geht zu Ende.
    Schleichendes Weiter des Frankreichbildes. Vielleicht wird es aus meinem Nachlaß gedruckt. Ein ganz guter historischer Überblick.
    Ich las zu Ende vor * Uli den Knecht u. den Pächter . 1 Jetzt habe ich * Ludwig * Wilhelm II 2 begonnen.
    Von den Schand- u. Wahnsinnstaten der NS. notiere ich bloß, was mich irgendwie persönlich tangiert. Alles andere ist ja in den Zeitungen nachzulesen. Die Stimmung dieser Zeit, das Warten, das Sichbesuchen, das Tagezählen, die Gehemmtheit in Telephonieren u. Correspondieren, das Zwischen den Zeilen der unterdrückten Zeitungen lesen – alles das wäre einmal in Memoiren festzuhalten. Aber mein Leben geht zu Ende, u. diese Memoiren werden nie geschrieben werden.
     

 
    Montag 22/5
    Der 16. 5. 3 ging diesmal sehr trübe vorüber. – * Eva ist jetzt so völlig mit ihren Nerven zu Ende, daß auch ich kaum noch standhalte: mein Herz versagt immer mehr.
    Neues Guaio, 4 nicht gering zu achten: Erkrankung unseres kleinen schwarzen Katers. Wunde am Bauch, das Tier quält sich, wird schmerzhaft aufregend (u. kostspielig) bei * Dr. Groß behandelt. (Autofahrt hin – u. her.) – Am Abend des 19/5 Herr * Kaufmann 1 als Strohwitwer bei uns. * Seine Frau in Berlin bei * * Edgars Familie. 2 Die gehen nächste Woche nach Palaestina, lassen das * Kind vorderhand bei den Eltern, nehmen 15 000 M. mit, wollen irgend eine Existenz suchen (Grausamer Witz, von * * Dembers kolportiert: Der Palaestina = Einwanderer werde gefragt: Komen Sie aus Überzeugung oder aus Deutschland?) Brief von * Georg: er selber in Pension (man hätte mich halten können), * Otto, der Physiker, * Friedrich der Medizinal-Praktikant, 3 u. der * jüngste 4 der im Examen als Diplomvolkswirt steht, wollen nach Amerika od. England auswandern; * Hans, 5 der eben einen * Sohn bekomen hat, 6 ist von Siemens bisher noch nicht entlassen. – In meinem afrz. Kolleg heute 3 Leute – KK 7 u. Übung dazu besser besucht (etwa 20 u. 10 Studierende)[.]
    Fortschreitende Arbeit am Frankreichbild, das niemand dru drucken wird; oft unterbrochen.
    Hausangelegenheit hoffnungslos. Sie bringt * Eva u. mich buchstäblich ins Grab.
    Seit * Hitlers Friedensrede 8 u. der aussenpolitischen Entspannung habe ich alle Hoffnung verloren, das Ende dieses Zustandes zu erleben.
    Lectüre (vorlesen) * Ludwig * Wilhelm II
     

 
    17 Juni, Sonnabend Morgen
    Diaethetik der Seele. Ich halte mich jetzt tagüber gewaltsam an irgend einem erfreulicheren Ereignis fest, u. sei es wahrhaftig das Kleinste wie das Gedeihen eines Philodendronblattes oder der bessere Zustand unseres kleinen Nickelchen-Amfortaskaters, 9 dessen Wunde am Bauch immer wieder zuheilt, immer wieder aufbricht (trotzdem er lange von * Doctor Groß behandelt wurde). Es ist wirklich nötig sich so einen Halt zu schaffen – u. er hält, weil ich älter u. damit zugleich stumpfer u. tragfähiger geworden bin. Denn eigentlich ist alles gegen mich, u. in früheren Jahren hätte mich eines der Übel mattgesetzt, von denen ich jetzt ein halbes Dutzend u. mehr stu auf Stunden u. Tage zurückschiebe.
    Ich bin zufrieden, wenn * Eva einen Morgen ohne Wein = u. Schreikrampf beginnt, einen Abend leidlich einschläft. Ich schiebe zurück, daß sie nicht ausgeht, das Harmonium, den Flügel verstauben läßt usw. usw.
    Ich schiebe die Verzweiflung des Wohnungscomplexes zurück.
     
    [Einschub zu S. 075/00024]
     
    An Baugeld nicht zu denken. Ein polnischer Jude, * Sandel, hat mich um volle 240 M betrogen, will sie nicht zurückzahlen u. rechnet darauf, daß ich ihn aus Angst vor Skandal nicht anzeige (jetzt einen Juden, ich! Aber ich werde es doch müssen, sonst denken * Praetorius u. * Gattin, ich fürchte mich – womit sie Recht haben.) Ich bin nun ohne alle Reserven, weiß kaum, wie Versicherungen, Zinsen etc. aufbringen – u. aller Nebenverdienst stockt.
     
    Ich hatte zum 1. Juli hier gekündigt u. habe die Kündigung wieder zurückgenomen aber nur bis zum 1. X.

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