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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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– Es wehte ein starker schneidend kalter Wind, Vater B. klagte über zu leichten Mantel u. Bauch-Beschwerden, so verabschiedeten wir uns von ihm u. warteten allein. Es kamen auch Autos, drei, vier, aber sie kümerten sich nicht um unsere Stopzeichen. Da gaben wir s, selber stark durchfroren, auf u. begannen den Gepäckmarsch nach Pfaffenhofen, das von hier aus noch 7 km entfernt lag. Ein Stück mußten wir uns noch über freie Landstraße kämpfen, dann ging der Weg durch hohen Wald. Gleich am Rand stand ein Militärauto, der Fahrer reparierte, ein Soldat sah zu. Ob man uns mitnehmen könne? – Die Reparatur dauere noch Stunden, zu Fuß kämen wir eher nach Pfaffenhofen. Kaum waren wir ein Stückchen weiter, da holte uns der Soldat ein, nahm mir mit Selbstverständlichkeit eine Handtasche ab, schloß sich uns an u. plauderte den ganzen Weg zutunlich. Er hatte nur noch ein Hand. Die andere in der Normandie verloren; dort gefangen, nach USA geschafft, von da ausgetauscht. Er war 18 Jahre, groß u. stark, von der Waterkant, aber hier gefiel es ihm, hier hatte er ein Mädel gefunden. Nur – ob ihm überhaupt noch eine Zukunft möglich sei? Er gehörte zur Waffen, u. wie es dergehen würde, wenn ... das sei doch bekannt. Aber das habe der * Führer nicht verdient, daß er besiegt werde, er habe alles so gut gemeint u. geordnet. Und er werde auch nicht unterliegen .. Die bisherigen Niederlagen seien durch Verrat zustande gekomen, schon lange vor dem 20 Juli sei Verrat im Spiel gewesen, u. jetzt, am Geburtstag des Führers, am 20. April, werde unsere neue Offensive einsetzen u. den Osten befreien. Ganz gewiß schien er dessen aber doch nicht zu sein, u. ließ sich gern von mir trösten: als Maurer werde er immer sein Auskomen finden u. mit einer Hand u. einer Prothese könne er sicherlich arbeiten. Ich fragte ihn, wie es in Amerika gewesen. Gut, das könne er nicht abstreiten, gute Verpflegung, anständige Behandlung unter deutschen Vorgesetzten ... Aber dies hätten die Amerikaner natürlich nur der Propaganda wegen getan, damit die Ausgetauschten nachher in der Heimat Gutes über USA aussagten. So ging dem Jungen Natürlich-Vernünftiges u. Eingehämertes durcheinander. Er sagte auch noch: * Göring soll ‹ versagt › haben u. eingesperrt sein.[] Anderwärts hatten Bei Burkhardts hatten wir gehört, G. sei erschossen worden (engl. Funk). – Wir kamen rasch nach Pfaffenhofen; am Ortsrand bog er in sein Quartier ab. Sein letztes Wort: wenn es ganz schief gehe, wolle er sich noch einmal zur Front melden. Ich glaube, das ist die allerletzte pronazistische u. kriegerische Stimme, die ich gehört habe. Von da an sind die defaitistischen Äußerungen, bald verschleiert, bald offen in immer größerer Häufigkeit allein da, sie sind schließlich so wenig mehr zu zählen wie die Fliegeralarme. Mit allerseltenster, rein offizieller Ausnahme ist auch kein Heil Hitler mehr zu hören. Alle Welt sagt, sagte schon in München, Grüß Gott u. Auf Wiedersehen.
    Kaum hatten wir, etwa 12 30 [,] Pfaffenhofen betreten, so gab es kleinen Alarm; kaum saßen wir im Bräuhaus Müller am großen Platz beim Mittagessen, da gab es großen Alarm u. wir mußten in den geräumigen Keller. Gespräch mit einem Anwesenden: Wie soll der Krieg nur enden? Feixende Antwort: []Das kann ich Ihnen nicht sagen – Schweigen ist Gold – man weiß doch nie, mit wem man spricht. Wiegesagt: all solche Äußerungen kann ich nicht mehr notieren. Flüchtlinge, mit denen man für Minuten zusamen ist, im Milchauto nach Schwaitenkirchen, auf einem Bahnsteig .. sprechen erbittert, anklagend, warten auf das Ende – u. erst die Bauern! Wann können die Amerikaner hier sein ... wann sie nur kämen ... Ein Loch für die Panzerfaust gegraben? Wir nehmen gleich das Handtuch mit, um uns zu ergeben .. Dieser Wahnsinn, daß wir kämpfen sollen! Aber * ER läßt ja jeden General u. jeden Bürgermeister erschießen, der nicht Widerstand leistet .. Noch 8–14 Tage, mehr nicht, dann san s hier .. Mein Leutnant sagt, am 20. kome die neue Offensive u. dann sei der Osten in 4 Wochen frei, aber i glaub s nimmer ... Die neue Waffe? Das hören wir seit zwei Jahren .. Wenn sie nur erst hier wären die Amerikaner ... Usw. usw., so unablässig wie die Alarme u. die Flieger. – – Wir aßen bei Müller, bekamen in einer Conditorei nebenan eine Tasse Kaffee (nur eine ), fuhren dann bis Dachau. Dort sollte es um 18 h weitergehen, aber der Zug wurde derart gestürmt u. überfüllt, daß

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