Klemperer, Viktor
ist eine Ähnlichkeit: immer haben sie zwischen dörflichen Außenteilen einen Stadtkern mit irgendwelch festen u. schönen alten Bauten. Pfaffenhofen hat an seinem langgestreckten Hauptplatz einen mächtigen hellen Kirchturm vom Boden an frei aufragend aus einzelnen quadratischen Stockwerken wie aus einem Baukasten allmählich aufgeschichtet u. oben behelmt. Aber schon wirren sich mir Kirchen- u. Kloster- u. Schloßbau aus den drei Städtchen ineinander, in meinem Gedächtnis haftet bloß das generelle Cliché der alten historischen Kleinstadt. Eigenartig in Pfaffenhofen ist die Heiligensäule zwischen zwei hohen Weidenbäumen. Dieser Anordnung: Crucifix zwischen zwei Bäumen oder auch tief in das Astwerk u. Gezweige eines großen alten Baumes eingebettet, bin ich in Pfaffenhofen noch einmal u. dann wiederholt in den oberbairischen Nestern begegnet. Und dann ist charakteristisch an Pfaffenhofen (u. ebenso an den andern Orten Oberbayerns) die Unzahl eigener u. selbständiger Brauereien neben den berühmten großen Firmen. Aber jetzt gibt es überall nur zu manchen Stunden oder an manchen Tagen Bier, u. alle Brauereien schänken Limonaden aus u. Kaffee, diesen höchst merkwürdigerweise, freilich auch nur begrenzt, da ja auf Marken nur ganz wenig zu erhalten ist. Oft heißt es: nur noch Tee! – u. was für Tee! Und in den Dorfgasthäusern gibt es zumeist auch das nicht, weil die Leute zwischen Mittag u. Abend kein Herdfeuer brennen. (Kohlen fehlen gänzlich, sie holen Holz aus den Wäldern.) – Wir bekamen in einem Restaurant unterhalb des Bahnhofs gut u. billig zu essen, aber weder hier noch irgendwo im Ort Nachtquartier. Es regnet, u. der aufgeweichte u. zugleich holprige Weg zum Bahnhof stellte im Dunkeln eine Miniaturwiederholung der Strecke Landshut–Altdorf dar. Ich bat den Wirt auf einer Bank im Gasthaussaal übernachten zu dürfen, ohne Decke, ohne jede Zutat. Er lehnte es schroff ab. Ausgebombt? Flüchtling? Das sei ihm ganz gleich – wenn er uns u. noch einen Bewerber übernachten ließe, würden das morgen 100 Leute von ihm verlangen. Es war das erstemal, daß ich auf schroffe Ungastlichkeit, auf, wie die Nat.soc. sagen, wahrhaft u. aufreizend asoziale Haltung stieß. Wir patschten also – immer im nassen Schuhzeug [–] zum Bahnhof hinauf, zusamen mit dem erwähnten Passagier, der sich als übler Schwätzer u. Anhänger eines veredelten Nationalsocialismus erwies, u. den wir bald abstreiften. Dies war nun die dritte Nacht in Kleidern. Wenigstens kam kein Alarm. –
Am Freitag d. 6. April stiegen wir früh vom Bahnhof nach Pfaffenhofen hinunter u. hinein, frühstückten im Bräuhaus Müller, aßen dort auch zu Mittag, schlenderten ein bißchen durch den Ort. Um 1 Uhr sollte das Milchauto fahren. Wir haben diese Institution inzwischen als gemeinoberbayrisch kennen gelernt. Irgendwo im Kreis ist eine Centrale Molkerei: an sie müssen die Bauern einen Großteil ihrer Milch täglich abliefern – (behalten aber natürlich [–] teils offen als Selbstversorger, teils schwarz[ ) ] – genug für sich u. unter dem Gesichtspunkt des Städters u. nun gar des Sachsen halb Kanaan[)] – von ihr bekomen sie Butter, Entrahmte etc. zurück. Die Autos der Centralen befördern gratis Passagiere von Dorf zu Dorf, man hockt auf den mächtigen Milchkannen, man klettert mühsam herauf, man steigt ab, wenn auf den Milchbühnen der einzelnen Orte ab- u. aufgeladen wird; diese Bühnen oder Estraden vor einem großen Bauernhof bilden jetzt eine Art Bahnhof; der Fahrplan liegt nur sehr ungefähr fest – aber auf der Eisenbahn muß man ja auch stundenlang warten. Diese Einzelheiten habe ich erst hier in Unterbernbach kennen gelernt. In Pfaffenhofen warteten wir lange vor der Post. Gegen 14 h. kam der Wagen; er fuhr nicht unmittelbar nach Schwaitenkirchen, das 9 km östlich Pfaffenhofen liegt, sondern in einem weit nach N. ausschwingenden Bogen über das Dorf Geisenhaus, 1 etwa 20 km lang. Die oberbayrische Landschaft: überall welliges Land, immer der Wechsel zwischen weiten freien Acker- u. Wiesenstrecken u. Waldstreifen, in denen Kiefern u. Fichten von Laubbäumen umrandet sind. In der Ferne oft entschiedenere Höhenzüge, manchmal richtige Berge. Und überall Dörfer, u. jedes hat seinen Kirchturm, oft liegen zwei Türme dicht beieinander. Am häufigsten u. charakteristischsten der Zwiebelturm, oder auch die Zwiebel, auf die sich noch ein Rettich pflanzt. Man sieht aber auch Spitztürme u. solche mit einem
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