Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
Vom Netzwerk:
Aus diesem Schloß wurde ich gestern nicht ganz klug, es trägt ein Kirchtürmchen, es scheint in zwei gleichförmige Blocks oder Teile gegliedert – es liegt so eingezäunt u. von Wiesen umgeben, daß ich nirgends einen Überblick gewann. Dahinter zieht sich dann ziemlich langgestreckt das Dorf hin. Aus vielen Fenstern hingen improvisierte weiße Fahnen – werwölfisch ist man hier gar nicht! Gehen s bis zur Kapelle, bekam ich zur Auskunft. Die Kapelle mit dem Datum 1694 stand einsam an einem Waldstück, ein Wegweiser Kühbach wies in den Waldpfad hinein, aber von der Kapelle selber ging ein breiterer Weg über freies hügeliges Acker- u. Wiesengelände, u. jenseits dieses Geländes sah ich deutlich den Kühbacher Turm. (Nach der Karte liegt Haslangkreit im SO von Unterbernbach, Kühbach dann südsüdwestlich von H.) Ich ging also auf diesen Turm zu, er verschwand, tauchte wieder auf, verschwand wieder. Nichts als hügeliger Acker, ein Fuhrweg darin. In der Ferne zur Rechten als dauerndes Zeichen der Gänsehals von Inchenhofen. Dann plötzlich lag ganz Kühbach vor mir, dicht vor dem Ort mündete mein Feldweg in die von Paar komende Hauptstraße.
    Flieger hatte ich nicht mehr zu fürchten – das geht uns beiden stündlich bei jedem Schritt hier erinnerungsbelastet durch den Kopf – aber aus dem Dorf drang das Motorengeräusch schwerer Wagen u. machte mich doch ein wenig ängstlich. Ich kam auf den Hauptplatz, daran liegt mit ihrer Längsseite die große gelbe Kirche, daran liegen die wesentlichen Verkaufsstellen, der * Lechnerladen, hinter ihm die Lechnerbäckerei, neben ihm der Peterhof (Gasthaus u. Fleischerei) u. – auf der andern Seite – in einem langen Gebäudetrakt die üble Klosterbäckerei. (Relativität: unter den vielen Dörfern hier ist Kühbach ein großer Ort, fast städtisch [weit?] (u. wie es scheint: bedeutsamer als Inchenhofen, während Aichach, das namenlose Nest, beinahe eine Großstadt ist.) Auf dem Kirchplatz war eine Behelfs- oder Reparaturcolonne der Amerikaner postiert: Ein Camion mit Hebekrahn, einer mit Radreifen etc., kleinere Wagen, auf einem hoch aufgebockt mit tief herabhängendem Ladestreifen ein lang-u. dünnhalsiges Mg. An einer Hausmauer stand ein Schleifapparat oder eine Drehbank; schwarze, genauer: braune Negersoldaten in undefinierbar grau-grün erdfarbenen Jacken u. Hosen, alle den Stahlhelm auf den Kopf gestülpt, hantierten u. wimmelten – Dorfkinder standen dicht dabei u. dazwischen. Später sah ich auch einzelne blonde Soldaten, in dunklen Lederjacken, Revolver umgeschnallt, Gewehr (anders als das deutsche, Lauf ohne Holzumkleidung) am Riemen über die Schulter gehängt. Alle Läden waren geschlossen, es war freilich noch nicht ganz 15 h. Ich ging in eine Seitenstraße, eine junge blonde Frau, bestimmt keine Bäuerin, wahrscheinlich Münchnerin, gab mir Auskunft. Ich solle bis 3 h warten, aber voraussichtlich würde nicht geöffnet. Die Besatzung habe am ersten Tage alles aus den Läden geholt, aber sonst sei sie durchaus anständig. Die Schwarzen auch? Geradezu beglücktes Aufstrahlen. Dö san noch freundlicher als die andern, da sei gar nichts zu fürchten .. Ob sie etwas von der Situation wisse? – München sei schon gestern Abend (also am 30. 4.) gefallen. – Ich ging auf den Hauptplatz zurück, sprach zwei alte Damen (mehr Damen als Frauen) um Auskunft an. Wieder, nur verstärkt, die gleiche Auskunft über die Besatzung, genau das gleiche Aufstrahlen über die Neger als die ganz besonders gutartigen Feinde. (Es fielen mir alle schwarzen Kinderfrauen, Polizisten u. Chauffeure unseres Lebens ein.) Und was man von der Grausamkeit dieser Feinde gesagt habe, das seien alles nur Sprüch gewesen, das war nur Hetz . Welche Volksaufklärung! Die beiden wußten auch Genaues über München, so Genaues, daß es mir heute noch unglaublich scheint. Es gebe ja auch in Kühbach keinen Strom u. also kein Radio, aber die Amerik. hätten es erzählt u. auf der Karte gezeigt: von 6 Seiten sei man auf München zumarschiert, u. die Russen (von Wien her) seien noch früher drin gewesen als die Amerikaner. Aber man höre doch noch immer Geschützfeuer von dorther, warf ich ein. Das würde wohl noch eine ganze Weile so gehen, denn in allen Winkeln verteidige sich noch.[] – Ob es wahr sei, daß zwischen Armee u.gekämpft werde. Die Auskunft war nicht klar. Die eine alte Dame sagte, der Ritter von * Epp habe zum Kampf aufgefordert – (Kampf gegen wen?) –, die andere verbesserte

Weitere Kostenlose Bücher