Klemperer, Viktor
geradezu kitschige Allegorie des verlorenen Krieges. Diese Gedrücktheit, diese Heimatlosigkeit mitten in der Heimat!
– Der alte * Tyroler (als Dorfstimme anzusprechen) sagt voller Angst: jetzt werden die Kommissionen komen; was werden wir abliefern müssen? Dagegen soll der * Bürgermeister wieder enthaftet worden sein, u. mehrere Soldaten habe man nur entwaffnet u. gleich in ihre Dörfer zur landwirtschaftlichen Arbeit entlassen.
16 h . * E. beorderte mich mittags hin, es zu besehen: auf dem gemeinen Abort (dem ich, wenn immer es möglich den grünen Wald vorziehe), liegt schwarz u. rot kunstbeschriftet ein fast pergamentenes Blatt, eine Eidesurkunde, worin dem Tyroller Michael bescheinigt wird, daß er am 20. April 1936 auf dem Königlichen Platz in München innerhalb des Traditionsgaues vor dem Stellvertreter des Führers, * Rudolf Hess, geschworen habe, dem Führer * Adolf Hitler u. den von ihm eingesetzten Unterführern bedingungslosen Gehorsam zu leisten. Die Eidesformel ist im Wortlaut angeführt. – Beim * Flamensbeck ist das Schild Ortsbauernführer verschwunden, u. in der Wohnung waren sie gerade dabei, ein Hitlerbild – es zeigt ihn, wie er sich zärtlich beglückt mit einem kleinen Mädchen beschäftigt – aus dem Rahmen zu nehmen u. verschwinden zu lassen. Der Eid in die Sch ..grube geworfen: das ist so repraesentativ wie die Gruppe der drei Soldaten ..
Nach Tisch, während E. schlief, ging ich zum * Pfarrer Moll. Im großen Pfarrhaus – seine * Schwester führt die Wirtschaft, es war auch irgendeine gehobene Bedienerin da – war großes Aus u. Umräumen; in der Empfangs- u. Arbeitsstube stand eine leere Bettstelle: man hatte bis jetzt deutsche Einquartierung gehabt, man rechnet mit der Möglichkeit amerikanischer Einquartierung. Der Pfarrer redete weniger als ich. Immerhin: seine starke Antipathie gegen den Natsoc, der sich nicht auf reine Politik beschränkt, vielmehr ins Religiöse übergegriffen habe, trat unverhehlt zutage. Er bewunderte aber Hitler als partiell genialen Volksverführer, er bewunderte die dämonische Energie der Partei, er bedauerte, für daß diese Energie für eine so schlechtge Sache eingesetzt worden. Auf die Bösartigkeit der führenden Nazis wandte er ein Wort des * Apostels Paulus an: Mysterium iniquitatis . 1 Ich sprach von den Religions-Verfolgungen, von dem furchtbaren Eindruck, den die Synagogen-Verbrennungen gemacht. Er: in der Augsburger Ztg habe damals gestanden, die Juden selber hätten ihre dortige Synagoge angezündet, aber das habe natürlich niemand geglaubt. Neu war ihm, was ich von abgekratzten Judennamen auf Kriegsdenkmälern erzählte; dafür berichtete er von einer der katholisch-patriotischen Inschrift eines Denkmals, die entfernt worden war, weil hier Maria angerufen wurde. Er war überzeugt, daß sich jetzt – jetzt! – die Mehrzahl der Deutschen innerlich von den Nazis abgewandt habe. Ich sagte, nun kome alles auf neue Erziehung an, u. es müsse der Jugend erst wieder beigebracht werden, den zehn Geboten nachzuleben. – Ich bekam eine Cigarre als Gastgeschenk, die noch von deutschen Soldaten stamt u. die ich E. brachte, ein paar Bogen unauftreibbares Schreibpapier u. als geliehene Lectüre eine * Sonnenschein- * Biographie . 2 Sonnenschein, dessen Name mir ganz fremd, scheint nach der eben gelesenen Einleitung ein Gegenstück zum Pfarrer Naumann. Pfarrer Moll sagte mir, das Buch sei kulturgeschichtlich ungemein interessant. – Über die augenblickliche Kriegslage wußte der Pfarrer genau so wenig, d.h. genau ebenso absolut nichts, wie * Flamenbeck, * Asam y todos. Wir sind bei fehlendem Strom – das versagende Amperwerk übrigens betreibt nicht nur Licht u. Radio, sondern auch Motore der Landwirtschaft, * Tyroller Michael jamert deßhalb – vollkomen von aller Aussenwelt abgeschnitten. Aus der gänzlichen Stille auf den schon eingetretenen Fall Münchens zu schließen, sei voreilig: wir hätten Westwind, u. dabei sei nichts von München her zu hören. Ähnlich zweifelnd hat sich auch der junge Asam geäußert; es sei heute ein Bombengeschwader auf München zu geflogen. –
Der junge Asam wollte Nachmittags in den Wald, um geschlagenes Holz zu holen. Er urteilte: es habe dem Staat gehört, also gehöre es jetzt niemandem. – * Frau Gruber berichtet, die Leute hätten massenhafte Beute aus dem verlassenen deutschen Bivouac herausgeholt: Holz, Conserven- u. Zuckerreste. –
Über amerikan. Maßnahmen u. Anordnungen weiß man noch immer
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