Klemperer, Viktor
sofort eindringlich: nein ! er habe im Gegenteil dazu aufgefordert, die Ruhe u. den Frieden (Bürgerfrieden) zu bewahren, es würde, sobald möglich, aus einer Volkswahl eine neue Regierung gebildet werden. (Soviel ich weiß, ist Epp Statthalter, bayrischer * Mutschmann, oder eben nicht Mutschmann.) – Die Läden im Ort seien für etwa eine Woche geschlossen, ich solle aber einmal hinten herum mein Heil probieren, über den Hof am Misthaufen vorbei komen s zum * Lechner. Dort traf ich eine freundliche Person, die mir sogleich ein rundes 6
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Brod brachte. Es koste 90 Pf. Ich reichte ihr Geld u. Marken – sie wies die Marken zurück, sie seien wertlos. Ich ging dann noch durch den Hausflur zum Kaufmann Lechner, dort wurde ich nicht unhöflich aber ernsthaft abgewiesen: die Kühbacher hätten einigen Vorrat an Mehl u. Fett erhalten, nun seien bis zu neuer Bestimmung durch die Besatzungsbehörde alle Läden streng geschlossen, alle Verkäufe untersagt. Ich sei überhaupt zu Unrecht in Kühbach, niemand dürfe eine Ortsgrenze überschreiten. (Tatsächlich aber besteht eine solche Verordnung für das winzige Unterbernbach noch nicht.) – Ich ging heim, eigentlich mehr erhoben als bedrückt; wir haben ganz hübsche Vorräte u. guten Rückhalt an * Flamensbecks, * Wagners, * * Steiners. Am Abend noch tauschten uns Wagners etwas Zucker in Kaffee-Ersatz um, gaben uns auch bei sich einen Kaffee zu trinken (u. wollten die Nachricht von den Russen in München gar nicht glauben). Noch dies: unterwegs war ich Männern in Civil begegnet, die Rucksäcke, Koffer, militärische Tornister schleppten u. am Arm eine weiße Binde trugen. Offenbar Heimkehrer, von den Amerikanern offiziell entlassen. Sodaß also die Gegner des Kriegsendes gewiß sein müssen . Widerum hörte u. hört man immer wieder Geschütz aus der Münchener Richtung, ein paarmal knallte es gestern auch scharf in der Kühbacher Gegend, u. heute morgen rauschte ein Bombengeschwader über uns weg.
Drei Punkte aus diesem letzten Erlebnis sind mir wesentlich: 1) das absolute Nichtwissen, 2) das Bild der schwarzen Kolonne vor der Kühbacher Kirche – der Krieg begann für mich August 1939 mit dem Fortführen der Armée-beschlagnahmten Pferde in Dresden; er endet mit diesem (diesem!) Bild vor der Kühbacher Kirche, 3) u. vor allem die Eroberung der Kühbacher Herzen durch die Schwarzen, die oberbayrische Abkehr von der Greuelhetze.
11 h. Jetzt löst sich eine Sohle von * E s einzigem Schuhpaar. Ich war um Rat u. Hilfe im Schulhaus. Wir bekamen eine Empfehlung an den Schuster in Paar u. für E. zum Wege dorthin ein pa Gummi-Überschuhe geliehen. Man ist ein bißchen beunruhigt (nicht allzusehr): der * Dr. Steiner hat sich gestern als Offizier der amerik. Behörde in Inchenhofen gestellt u. ist nicht zurückgekehrt. Ich sprach beruhigende Worte. * Frau St. sagte: Wir sind immer Gegner der Natsoc. gewesen – sollen wir jetzt dafür leiden?! Ich erwiderte, auch ich würde bestimmt geltend machen, daß mir die Nat.Soz. mein Amt genomen hätten .. Beide Schwestern entsetzten sich über die wahrscheinliche Anwesenheit der Russen in München. Auch darüber beruhigte ich (Sprüch u. Hetze). Die Schwestern: Ja, aber die Russen müßten Engel sein, wenn sie nicht Rache nähmen. Ich: sie rächen sich bloß an Partei,, Gestapo. Darüber kamen wir auf die Morde in Rußland zu sprechen. Die * Schwestern: ob nur Juden die Opfer gewesen seien. Ich: auch andere. Ich sagte dann, ich sähe, wir (sie u. ich) seien offenbar gleicherweise informiert, erzählten uns gegenseitig keine Neuigkeiten .. E. u. ich sind jetzt der Meinung, daß die Schwestern starke Beziehungen zum Judentum haben, u. daß sie wohl auch ihrerseits gleiche Beziehungen bei uns vermuten. Tanto meglio. 1 Doch möchte ich hier nur im äußersten Notfall von meinem Judenpaß Gebrauch machen.
Es heißt, wir bekämen heute amerik Besatzung nach Unterbernbach. Weiße Fahnen sind jetzt auch hier ausgesteckt.
Donnerstag 3. Mai 45 Vorm.
Nach dem Kaffee gestern der Weg zum Schuster. Bis Haslangkreit wie vorgestern, dann einen seitlichen Feld = u. Umweg nach Paar. Solange hatten wir Sturmgewölk hinter uns gehabt, nun kamen wir in ein Regen- u. Schneetreiben, das nicht mehr aufhörte, sodaß noch heute unser ganzes Zeug total durchnäßt ist. Dabei war die Mühe erfolglos, denn der Schuster war net hoam u. soll erst heute zu sprechen sein. (Inzwischen ist aber die Hoffnung aufgetaucht, daß der * Staringer hier im
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