Klemperer, Viktor
Domprediger Dr. * Mayer auf und sprach – tiefe Verbeugung, weit ausgebreitete Arme, pathetischstes, weichstes Flehen in der Stimme (Gerad so hat er gesprochen!) –: Wir fordern nichts, wir wollen nichts als bitten, dass uns das Schlimmste erspart bleibe! Indem kam SS, drängte uns zurück, trieb uns fort .. ich habe geschrieen und geweint und mich gewehrt ... und dem Dr. Mayer 1 banden sie die Handgelenke zusammen, und Betet für mich hat er noch g sagt ... Und am nächsten Morgen hing sein Leichnam auf dem Markt, und so schön weiss war er, gar nicht wie ein Gehenkter! .. Nachdem uns das Ochsengepann ausgebootet, gingen wir noch eine ganze Strecke mit den Frauen zusammen weiter, und das Plaudern half über die Mühsal weg, aber allmählich blieb ich doch zurück, ich hinkte allzu schmerzhaft, auch lasteten Rucksack u. übriges Gepäck. Plötzlich, in einer Ortschaft, ich glaube in Köfering, kamen die Frauen mit einer dritten Person auf uns zu. Die Freundschaft oder Verwandtschaft ist mir nicht klar geworden, jedenfalls wohne hier die * Tante Völkel, u. bei ihr sollten wir einen belebenden Kaffee erhalten, und schon war uns als Abschiedsgeschenk der [z]wei vom Ochsenwagen ein Stück Eierkuchen in den Mund geschoben und eine fettige (fettige! welche Herrlichkeit) Tüte mit Eierkuchen in die Hand gedrückt, und schon sassen wir in einem saubern und friedlichen Landhausgarten, und Tante Völkel, die Witwe eines * Lehrers und Mutter eines niedlichen * Mädelchens versorgte uns wirklich mit Kaffee, und wir kamen wieder zu Kräften ... Wir hatten die Absicht, uns möglichst nahe an Regensburg heranzuschieben, im letzten Dorf zu übernachten und dann am nächsten Morgen in die Stadt einzuziehen und * Ritter aufzusuchen. Es war uns ganz klar geworden, dass er ein sehr angesehener und einflussreicher Mann sein musste ... Wir waren gewarnt worden: nicht allzunah an Regensburg heran, denn da sei alles zerstört. Aber da wir nun wieder erfrischt waren, und da uns bald auch ein Pferdewagen 2 km. weit mitnahm, und da die Berglinie jenseits der Donau – jenseits! das wussten wir nun genau, und es lockte, denn dort schien mir der Sieg dieser Unternehmung zu liegen – da also die Berglinie immer näher rückte, so marschierten wir bei drohendem Gewitter immer voran, standen mit einemmale in dem letzten Ort vor Regensburg, in Burgw[e]inting, und damit plötzlich inmitten vollkommener Zerstörung (während bisher von Schäden wenig zu merken gewesen, ich glaube sogar garnichts.) Wir fragten uns zum Pfarrer durch: er sei in der Kirche. Er kam aus der Sakristei, ein junger Mann, Kaplan. Er sagte sofort ein eindringlichstes Unmöglich. Kein Haus sei unbeschädigt, kein Winkel leer, kein Stück Brod aufzutreiben, wir müssten, müssten durchaus die Müdigkeit überwinden und die letzten 5 km. nach Regensburg noch durchhalten, er gebe uns eine Empfehlung an die Caecilienschule, eine Kirchenmusikschule, dort fänden wir bestimmt Unterkunft. Ich wandte ein, es sei 19 h. vorbei, und ich könnte nicht mehr traben. Doch! wir würden es schaffen, die Caecilienschule liege nicht weit von unserm Einzugspunkt, auch sei in R. die Sperrstunde auf ½ zehn Uhr vorgerückt. Beide Angaben erwiesen sich nachher als falsch: ein Glück, dass ich das erst nachher erfuhr – wir haben das Haus keine zwei Minuten vor der Sperrfrist erreicht. Der Endspurt des Tages, war wirklich nur noch Endspurt, nur höchster Effort. 2 Zerstörtes Vorortgelände, Trichter, Ruinen, Aussengürtel einer Grossstadt, wie wir das wiederholt gesehen. Allmählich kamen Stadtstrassen, und schliesslich hatten wir die C.-Schule ausgemacht. Ein drittes Nichtstimmen der Kaplans-Aussage: die Schule stand nicht leer, sondern war mit irgendwelchen Flüchtlingen dicht besetzt. (Ganz klar sind mir die Verhältnisse dort nicht geworden.) Ich klingelte erst eine Schwester, dann die Oberin heraus, berichtete von Dr. Ritter und vom Kaplan. Schliesslich wurde uns ein hübsches sauberes Zimmer angewiesen, aber zu essen war nichts aufzutreiben, doch brachte uns irgendein Hausbewohner Kaffee auf die Treppenstufen. Wiegesagt, Belegschaft und Wesen der C.-Schule blieben mir dunkel, ich traf am nächsten Morgen an der Waschstelle nur eine Frau, die darüber jammerte, dass die 39 Mieter ihres Hauses in Kassel verkohlt seien, was sie um alle rückständige Miete gebracht habe. Wir gingen unter Hinterlassung einer Dankzeile am nächsten Morgen aus dem Haus, ohne jemanden gesehen zu haben.
Wir hatten
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