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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Rokokolüsternheit bei krankhaft überreizter Sexualität, der vertu-Fimmel 5 als Gegengift und Selbstbetrug. Ich werde noch viele Wochen lesen, ehe ich ans Schreiben komme.
     

 
    7. August, Freitag.
    Gestern der schwerste Schlag seit meiner Amtsentlassung: * Marcus, Breslau, mit dem ich in aussichtsvoller Verhandlung stand, hat den * Voltaireband nun doch abgelehnt, und zwar – dies ist das eigentlich Trostlose an der Sache – mit rein buchhändlerischen Begründungen, die fraglos richtig sind, und die für jeden anderen Verleger genau ebenso gelten müssen: es hätten sich in günstigeren Zeiten für das gangbarere 19. Jh. während eines Zeitraumes von elf Jahren nicht genug Käufer gefunden um die erste Auflage zu erschöpfen – wer werde jetzt Interesse für einen gelehrten Wälzer über das 18. Jh. aufbringen? Dies sei eine geschäftlich unmögliche Sache. Vanitas vanitatum 1 hin und her, es ist doch ein Stück meines Lebenswerkes, das um seine Wirkung und eigentliche Existenz gebracht ist und ich komme mir nun erst recht wie lebendig begraben vor. Zugleich peinigt mich auch die finanzielle Seite der Angelegenheit. Ich hatte auf ein paar hundert Mark wenigstens gehofft; nichts und weniger als nichts: die Gewissheit von allem Gelderwerb abgeschnitten zu sein. Es fehlen uns die 50 M, die Veranda über der Garage zu cementieren, es fehlt uns an allen Ecken und Enden fast der Groschen, und wir sind nicht mehr jung genug, diese Enge leicht zu nehmen. Nach dem Gesetz der Trägheit brüte ich doch über dem * Contrat social weiter.
    Am Sonntag, 2. Aug., machten wir eine sehr hübsche 80 km.-Nachmittagsfahrt um den Keulenberg. Seit wi[ i ]r hier wohnen, sehen wir den Berg mit seinen zwei Erhebungen aus unserm Fenster an jedem halbwegs klaren Tag, nie war ein Turm darauf und seit ein paar Wochen ist ein Turm da. Das intriguierte uns sehr. Wir fuhren
     

 
    13. 8. Donnerstag
    ... wir fuhren also nach Königsbrück, dann eine seitliche, schmalere Strasse nach Pulsnitz (Koitzsch, Reichenbach). Man war da in einem sehr grünen Flüsschenthal, das eigentlich eine einzige, mehrnamige, überlange Dorfstrasse von sehr gepflegtem Aussehen bildete. Dabei ging der Blick immer auf die verschiedenen Seiten des Keulenberges, und auf ihm erhob sich eine Art durchbrochener dicker Kirchturm, teils Eifel-, teils Funk-, teils Kirchturm (ohne Spur von Kirche). Inzwischen hat uns die * Papesch erzählt, dort sei neben einem winzigen alten Ausguck etwas Neues Gerüstumgebenes im Bau, für das die endgiltige Form und Verwendung (ihr wenigstens und ihren Bekannten) noch im Dunkel liege. – Auf der Rückfahrt Pulsnitz Radeberg wieder einen Blick in die grosse Weite von dem imposanten * Schlageter-Kreuz aus. – Wir sind jetzt schon kreuz und quer durch Sachsen gefahren; es sind immer Variante[n] des selben Themas und es ist doch jedesmal schön. Die [K]önigsbrücker Gegend hat besonders schöne Hochwaldstreifen. Seit wir durch die immer grössere Geldknappheit auf die nächste Umgebung angewiesen sind, wiederholen und variieren wir Bekanntes, und solches Vertrautwerden hat seine Reize; das Fahren mit häufigern kleinen Halten nähert sich gewissermaßen der Fusswanderung. So waren wir am 5. Aug. wieder in Kipsdorf (das ist und bleibt meine Lieblingsgegend) und gingen ein paar Schritte nach Oberkips. zu hinauf, und auch mit * Marta (s.u.) fuhren wir vorgestern Nachm. bis Schmiedeberg, und gestern, ehe wir sie zur Bahn brachten, schlichen wir für ein paar [M]inuten zu dem wundervollen * Moreaudenkstein. 2 – Etwas neuartiger, obwohl auch nur Wiederholung und Variante, war die grössere Fahrt am letzten Sonntag (9. Aug.). Seit Wochen sind wir auf der Suche nach dem Schwartenberg, von dem wir vordem nie gehört haben, von dem uns der * Kaufmann Vogel vorgeschwärmt hat, der neuerdings als Ort des Segelflugs in der Zeitung genannt wird, der aber auf keiner unserer Karten bezeichnet und uns bisher trotz aller Angaben Vogels unauffindbar geblieben ist. Auch Sonntag kamen wir nicht zum Ziel, aber wir verfehlten es auf die genussreichste Weise. Am frühen Nachmittag die Kipsdorfer Strecke bis dicht an Schmiedeberg heran, dann rechts nach Frauenstein herauf (die schöne Talsperre!), unmittelbar vor Frauenstei[n] links abgebogen, eine Kammstrasse im Hochwald. Sobald man die eigentlichen Staatsstrassen verlässt, ist es ein schwieriges und langsames Fahren, aber erst dann ist man auch wirklich mitten in der Landschaft, ganz im Walde oder

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