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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Zuchthaus, der Selbstmordkandidat auf der Brooklynbrücke, der Artist in der Kugel ist * Albrecht Schönhals, 4 der schöne Mann; der eigentlich Schuldige und auch wieder Unschuldige, der Erfinder der Kugel, ist * Paul Henckels, 5 Charakterdarsteller. Beide spielen gut, besonders Henckels. Die Schauspielerinnen ganz unwesentlich.
    Ein paar kleine Fahrten mit kleinen Erlebnissen. Am 2. Juli spätnachmittags auf der schönen Autobahn bis Nossen und zurück, diesmal ohne Hindernis, aber im Anfahren suchten wir vergebens eine Tankstelle und mussten an der Kemnitzer Einfahrt vorbei bis nach Cossebaude, ehe wir Benzin fanden. Dagegen gibt es auf der Strecke Heidenau–Pirna alle 100 Meter Tankstellen. Dort fuhren wir zwei Tage später am Sonntag vorm. zu * Annemarie und besuchten sie in den noch leeren Räumen ihrer neuen Klinik. Am Abend war sie dann bei uns und suchte drei von unsern übervielen Schränken aus, die sie gebrauchen kann. Ein paar Tage später räumten wir die Spinde aus – nun liegt noch mehr Zeug herum! – ein Spediteur holte sie ab, und wir warten etwas wehmütig bedrückt darauf, was der jämmerliche Handel einbringen wird. (Hoffentlich eine Gärtnerrate oder die Zahnarztrechnung – die Lebensversicherung ist unrettbar). Am 7. Juli über Kipsdorf hinaus bis an die Grenze von Altenberg, und dort ein bisschen ausgestiegen. Das ist und bleibt unser Schönstes bei Dresden, wie man hinter Schmiedeberg ins Gebirge eintaucht, wie man dann die grossen Kehren durch den prachtvollen Wald aufsteigt, und schliesslich der mächtige Blick in die Weite und Tiefe, der charakteristische Geising. Und schon lange vorher: der Blick auf Dresden und die Kette der sächsischen Schweiz, der Zipfel Maltersperre. Von dieser Fahrt habe ich immer etwas, und neulich war ich ganz besonders beglückt und auch stolz auf mein Fahren. Aber auf dem Rückweg verrechnete ich mich beim Überholen (wo ich gerade darin besonders umsichtig und sicher zu sein glaubte), es gab eine gefährliche Sekunde, und hinterher war das Glücksgefühl gänzlich weg und von grosser Depression abgelöst. –
    Lektüre der letzten Zeit, fast immer nur Abends an * E s Bett, die übermüdet von Gartenarbeit bald einschläft. Der * Santayana hat mich zuletzt doch enttäuscht. Schliesslich ist es ein allzu breit beschrieben t er, mit allzuviel nicht immer klarer Reflexion belasteter Krankheitsfall. Oliver mit all seinen Millionen, all seiner Ethik, ist ein durch erbliche Belastung und irrsinnige Erziehung lebensunfähiger Mensch und der Schädelbruch nach dem Waffenstillstand erlöst ihn. Nie habe ich übrigens den Weltkrieg mit solchem Dégout der Gleichgültigkeit, mit einer so unparteiischen Verachtung sämtlicher Parteien behandelt gesehen wie hier. Oliver[,] seine deutsche Erzieherin – [I]rma ist die beste mit gutmütiger Ironie behandelte Gestalt des ganzen Romans –, wäre er Deutscher, müsste er auf deutscher Seite kämpfen. Er findet, dass sie alle beide stinken. 6 Mit alledem ein Opus, das ich wohl irgenwann noch einmal zur Hand nehmen werde. – Jetzt ein furchtbar bedrückendes aber ausgezeichnetes Buch, Schule der Amerikanischen Tragödie: * Ernest Raymond (Engländer) WE, THE ACCUSED, 7 in der öst[e]rreichischen (spezifisch schwarzgelb 8 wie alle modernen Übersetzungen, Stiege, Pölster, Ferialurlaub, Einvernahme, zusperren etc. etc.): Tat und Sühne des Herrn Presset. 9 Der gutmütige schwache eitle Lehrer wird Giftmörder seiner Frau, die lange Gerichtsverhandlung, das Ende am Galgen. Alles ungeheuer anschaulich, lebendig, menschlich, manches humorvoll, weniges satirisch, alles sehr niederdrückend. Die unlösbare Schwierigkeit des naturalistischen Romans: Der mittelmäßige Held. Es langt nicht zu Liebe u.
    nicht zum Haß, kaum zum vollen Mitleid, es bleibt nur Antipathie und verächtliches Mitleid. (Man möchte ihn schmerzlos hängen sehen, ist aber doch mit dem Hängen einverstanden.[)]
    Die Gartenanlage, verzögert durch das fortwährende Unwetter nach übergrosser Hitze, nähert sich ihrem Ende. Neulich brachte uns ein Gespräch mit * Weller beide fast zur Verzweiflung. Der Mann, von den Nazis benachteiligt, erbitterter Feind des * Kalix, des * Zörner und vieler Einzelner, nicht unintelligent, nicht Judenfresser, äussert Gedanken, die in Form und Inhalt rein nationalsocialistisch sind. Von der Notwendigkeit der Volksgemeinschaft, von den für sich bestehenden Stämmen, von der Identität zwischen Recht und Macht, von der fraglosen

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