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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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unwesentlichen Hinsicht captiviert werden soll, weil ihm die Freiheit der Wahl, etwa zwischen der u. jener Rasierklinge, bleibt[,] weil dieser einen Reklame 1 000 andere entgegenwirken. Goebbels aber captiviert nicht sondern fesselt buchstäblich u. zwar den ganzen Menschen, er tyrannisiert ihn, u. dagegen lehnt sich der Gefesselte auf, u. vor der absoluten Monotonie des ihm einzig Gebotenen hat er Widerwillen. Die Stufenleiter der Empfindungen geht hier über Gleichgültigkeit der Abstumpfung zu Widerwillen u Rebellion.
    Schicksal: Mir ist das Baugeld vom Himmel gefallen; dem ältesten * Kinde Delekats, des Theologieprofessors, einem 13jährigen Jungen, ist buchstäblich ein Ziegel vom Schuldach auf den Kopf gefallen u. hat ihn totgeschlagen. * Delekat schrieb über die Todesanzeige: Der Herr hat gegeben, der Herr hat genomen! Die Theologen haben es gut.
    In der Beglückung der Bauaffaire schenkte ich * Eva zum 29/6 eine wunderschöne japanische Conifere, zum 12 Juli einen riesigen Rhododendronbusch. Den 29. hatte * Karl W. mit ihr oben heftig gearbeitet, er war unser Gast u. eine Flasche Sekt stand bereit. Da erschienen unvermutet glückwünschend nach dem Essen die jungen * * Köhlers. Die Flasche Sekt reichte nicht weit, wurde aber gewürdigt. – Zum 12. Juli 1 waren wir * Blumenfelds Gäste u. auch * Annemarie war dort. Es gab so schweren süßen Zionwein, daß noch heute mein Magen ein bißchen rebelliert. Vielleicht ist aber auch der schöne Gänsebraten daran schuld. Außer dem guten Essen gab es sehr schöne Gramophonmusik, ein * Mozartconzert u. * Bach auf wunderbaren Platten. Und alle waren wir etwas gehoben durch das Gefühl des Anfangs vom Ende (scil. tertii imperii 2 ).
    In meiner Bohèmejugend spielte der Name * Erich Mühsam eine gewisse Rolle. Ob ich ihn selbst gesehen u. gesprochen habe oder nur aus den vielen Erzählungen * Evas u. * Erich Meyerhofs, dazu aus den Simplicissimusbildern kenne, weiß ich nicht. Er war ein harmloser Schwabinger Narr u. gutmütiger Mensch. Schlimm genug, daß ihm schon sein Anteil an der Räterepublik mehrere Jahre Gefängnis eintrug. Jetzt steht im Freiheitskampf – wird mir zu Werbezwecken seit etlichen Tagen zugeschickt –: Der Jude Erich Mühsam hat sich in der Schutzhaft erhängt. 3
     

 
    23. Juli Montag .
    Kaum hatte ich neulich Erlösung gejubelt, so gab es eine heftige Krise u. Herzattacke. * Praetorius telephonierte – Sonnabend vor 8 Tagen Abends – der hinzugeforderte deutsche Giebel vermehre die Kosten um 2 300 M. Ich brüllte mit ihm, mit ihr, Thränen von ihrer Seite, Ausnutzung einer Notlage! auf meiner Seite, Zurückziehung des Auftrags[] – – sehr schwere Nacht u. folgender Vorm. Das Geld lag bereit, kostet täglich 2 M. Zinsen, der notarielle Vertrag ist geschlossen, u. widerum: so viel konnte ich nicht aufbringen. Am Nachmittag war P. dann bei uns – verzweifeltes Hin = u. Herrechnen. Erfolg: er wird den Preis um nur 1 000 M. erhöhen, dafür 3 000 stehen lassen, die ich in Monatsraten abzahle. Den genauen Kostenplan notiere ich hier, sobald der Vertrag mit P. vorliegt. Inzwischen ist nun eine weitere Woche vorüber – am 1. X. soll eingezogen werden – u. noch ist kein Vertrag hier u. kein Spatenstich getan. Die Amtshauptmannschaft, die Gemeinde, dies u. das – – u. ich sitze um so mehr auf Kohlen, als jeder Tag die staatliche Katastrophe bringen kann. Der zweite Schlaganfall ist fraglos nahe: außenpolitisch, wirtschaftlich, innenpolitisch: alles ist verspielt. Geheimnisvoll drohende Erlasse des * Justizministers, 4 des * Innenministers 5 gegen etwaige Beamtensabotage, gegen Eingriffe in die Justiz von außen her: sowas schreibt man doch nicht, wenn man nicht zittert. Und ein Volk von etlichen 60 Millionen tappt im Dunkeln u. ängstigt sich. –
    Schicksal der letzten Wochen: die immer maßlosere Hitze u. Schwüle; seit ein paar Tagen endlich Gewitter – aber bei wenig Regen u. bleibender Schwüle: Kochtopf. Stundenlanges Sprengen u. Eimerschleppen, wohin der Schlauch nicht reicht. Man kann immer erst nach Sonnensinken anfangen. Ein paarmal gegen 7 hinaufgefahren u. bis ½ 10 gegossen. Schön, wenn die Lichter der Stadt komen, aber furchtbar anstrengend. Wir sind beide qualvoll mürbe, mich peinigen immerfort Entzündungsschmerzen in den Augen, im Kopf, im Genick, in der Schulter.
    Seit die Recensionen beendet, lese ich * Brandes * Voltaire 1 u. reihe daran meine Gedanken für das Trägercapitel des 18. Jh. s auf. Es fällt mir

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