Klemperer, Viktor
Spaziergänge, Garten, Veranda, Obstwein mit heute nachwirkender Verkaterung. Doppelt, dreifach interessante lange Gespräche zwischen K. u. mir. a) philologische Auseinandersetzung. Er nennt den jetzigen Zustand, den er verurteilt, reine Demokratie, u. das was ich so nenne Liberalismus. Er sagt aber schon dafür liberalistisch; so sehr inficiert auch den Gegner die Terminologie der N.S. (cf. meine Philol. Notizen zur Bewegung). b) er gab mir seine Studie * Morus u. * Rousseau, 4 die ich eben las. Rousseau ist ihm der romanische Egalitär, undeutsch. (doch sieht er in * Montesquieu 5 den Vor denker * Herders, 6 Herder habe die Musik zu M. gemacht[], sagte er mir.) – c) Er bekante sich als Gegner des Antisemitismus u. doch im Grunde zum Antisem. Der Deutsche sei schöpferisch, sei eigentlich der Natur verbunden, * Luther, * Ekkehard 1 hätten schöpferische Phantasie – * Spinoza 2 sei unschöpferisch, bloß Mathematiker. Der Jude sei geschäftig, schmiegsam, beweglich, unschöpferisch. Es gebe keinen wirklichen jüdischen Musiker, auch keinen Dirigenten. * Furtwängler 3 reiße hin, * Otto Klemperer nicht. – Er war betroffen, als ich ihm sagte die N. S. verlören oder hätten bereits verloren den bellum judaicum. Also glauben Sie doch an solche Unbesiegbarkeit des ‹Weltjudentums›? Dann begreift sich doch eigentlich die Erbitterung der überzeugten N.S.! – Ich betonte, daß ich im Gegenteil (ganz wie die Franzosen) manche Verwandtschaft jüdischen u. deutschen Denkens sähe. Das gab er auch in etlichem zu (Altes Testament u. Protestantismus). Aber sein Grund gefühl ist doch: der Jude unschöpferisch, beweglich, sekundärer – der Deutsche schöpferisch. – Bei * * K. s waren noch die * * Schwestern Wiechmann u. ein * * Ehepaar Zuchart 4 (vel sic), das wir schon einmal dort getroffen hatten. Er Studienrat u. dramatischer Autor; er u. sie leidenschaftlich antins. –
Bollert erzählte mir neulich noch
30 Juni Sonnabend .
Gestern 30 Jahre verheiratet! 5 Und gestern bei * Langenhan den Vertrag einer Hypothek über 12 000 M. verhandelt. Der Bau eines Häuschens so gut wie gesichert. Eine solche Erlösung, daß ich noch immer an ihrer Wahrheit zweifle.
12 Juli Donnerstag
Ein klein wenig freier athmend als voriges Jahr können wir * E s Geburtstag diesmal doch feiern! Das Haus gesichert u. die Regierung nun doch wohl nach der * Roehm = Revolte 6 (30/6) nicht mehr lange lebensfähig.
Wenn ich morgen die achte u. letzte Recension des diesjährigen DLZ = Schubs fertig habe, widme ich einen ganzen Tag dem Tagebuch.
Furchtbare Schwüle, Hitze, Dürre (seit April!); körperlich sehr mitgenomen, aber wieder arbeitsfähig. Gleich nach * Delille, vor einem Monat, nahm ich die Recensionen in Arbeit; einige darunter ernsthaft u. ausführlich. Und jetzt plane ich das erste Kapitel der Lit.Gesch.
14. Juli
Die 8 Recensionen für DLZ., die ich eben abschicke (seit dem 11 Juni in Arbeit) sind: 1) * Voßlerfestschrift 7 (:/: 8 * Jordans * Descartes! 9 ), 2) * Grubbs: * Mitton, 10 3) * Löpelmann 11 : * Diderot, 4) * Mallarmé, dernière Mode, 12 5) * Jäckel: * Bergson u. * Proust, 13 6) * Minssen: * Dostojewski 14 u. die frz. Kritik, 7) * Jördens: franz. Ödipusdramen, 15 8) * Wilhelm: Fortleben des Gallikanismus. 16
Meine Arbeitskraft hat sich fast augenblicklich gehoben, so wie der Druck der letzten Jahre ein bißchen nachließ.
Die eigentliche Erlösung kam durch die Hausaffaire. Vor etwa zwei Monaten sah * Ellen Wengler, die Schwester meines italienischen * Lectors auf einem Spaziergang unser Grundstück. * Eva zeigte ihr den Garten, den Keller, klagte unser Leid. Einige Zeit danach ergab sich dies: Wenglers haben von ihrer verstorbenen englischen * Mutter her Vermögen in England liegen. Ein neues Gesetz zwingt alle Deutschen ihre Auslandswerte zu verkaufen; die Regierung nimmt die Devisen u. zahlt sie in Reichsmark aus. Ellen W. wollte ihr Geld nicht unsicher liegen lassen u. bot es mir als langfristige Hypothek. Von Anfang an schien alles so unwahrscheinlich günstig für uns, daß wir nach all dem schweren Unglück, all den 100 Enttäuschungen gar nicht daran glauben wollten. Aber es entwickelte sich rasch u. günstig. Eine Unterredung mit Heinrich W., ein Brief, ein Telephongespräch, die Geschwister zum Abendessen bei uns: in 14 Tagen waren wir unter uns einig. Eine neue Sorge tauchte auf: die deutschen Zahlungsschwierigkeiten, das englische Clearinggesetz 1 – würde man das W
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