Klemperer, Viktor
Augenblick.
Sprache des 3. Reichs . Mir fiel neulich im Telephongespräch mit * Blumenfeld ein: Rechtens Als * H. seine Freunde standrechtlich erledigt hatte, ließ er durch seinen Reichsrat beschließen, alles Getane sei rechtens geschehen. Die knappeste affirmativste germanischste Rechtsformel als Gegengift ... Ich hatte Bl. erzählt, daß mir, das erste Mal in zehn Jahren, die DLZ eine (gar nicht schroffe) Kritik – * Loepelmann Der junge * Diderot – mit der Bitte um Milderung zurückgesandt habe.
Man befürchte Complicationen, der Autor sei Referent im Unterrichtsministerium. (Arme Redaction.) Ich hatte die Recension zurückgezogen. * Bl. Ob mir das Rec-Exemplar verbleibe. Ich sagte: Rechtens. Bisher ist es übrigens wirklich nicht zurückverlangt worden. Vielleicht schämt man sich.
Mittwoch 7 Nov.
Am Montag im frz Colleg, ebenso in der Übung seltsamerweise sechs Hörer. Zu den drei vom P. I. kamen 3 Hospitanten. Ein kathol. Theologe u. zwei Mädel (eine davon war schon letzten Winter bei mir; sie fragte mich nach * Georg, der ihre Verwandte behandelt habe). Vor einem kathol. Theol. über * Pascal, * Bossuet, 1 * Voltaire zu sprechen, ist nicht einfach. Ich ließ mich zu ziemlich gefährlichen Anspielungen hinreißen. Über encyclopädischen Stil, vom Henker verbrannte Bücher, die Bastille. – Gestern sollte nun der * Dante beginnen. Den ganzen Tag kämpfte ich mit Migräne, sie wurde schließlich überwältigend schlimm. Ich vermochte vor Augenschmerzen nicht mehr den Schnuller 2 zu beenden. Ich begann um ½ 6 mich umzuziehen u. konnte buchstäblich vor Übelkeit nicht weiter. Ich ließ durch * Frau Lehmann den Kastellan anrufen u. sagte ab. Es ist in 14 Dresdener Jahren das erstemal, daß ich krankheitshalber ausfallen ließ. Ich legte mich zu Bett u. schlief bis ½ 10. Nachher ein kleiner Spazierschlich mit * Eva u. dann bis nach 12 den * Hemingway zu Ende vorgelesen. 3 – Auch heute sehr schlechtes Befinden. Die Augen versagen. Dazu wohl ein bißchen Fieber. Wüster Magen.
Dazu die entsetzliche Qual der Geldsorgen. Erschöpfte Reserven, immerfort Nebenausgaben, Handwerkerei, Besuch – jede Mark quält. Die Katzen essen täglich für 1,30 Kalbfleisch. Morgen komen wieder die jungen * * Jelskis, rückreisend. Übermorgen * * Blumenfelds. Weinrechnung, Fleischerrechnung – kleine Beträge, aber sie summieren sich. Und Eva schränkt die Handwerkerei in Haus u. Garten nicht ein. Es muß sein; ich bin zu ängstlich. Es ist noch immer gegangen. Für die Winterhilfe erpreßt man mir freiwillige 20 % der Einkomensteuer. Damit sinkt mein Monatsgehalt unter 800 M. Ich werde die Lebensversicherung sistieren müssen.
Der Ekel u. die Müdigkeit würgen mich oft derart, daß ihnen bloß noch der Ekel vor dem Grabe die Wa[a]ge hält.
Seit Freitag keine Zeile am * Voltaire.
9. Nov.
Trauertag für die Gefallenen der NSDAP. Die Partei u. die öffentlichen Gebäude flaggen Halbmast. Die Bevölkerung wird aufgefordert ebenso zu flaggen. Ich sehe mit Freuden, daß in unserer Nachbarschaft reichlich die Hälfte der Häuser ohne Flaggen geblieben ist. So konnte ich unsere Fahne auch zurückhalten. (Anfang October im Reka gekauft. Haben Sie Fahnen, Fräulein? – []Ja, aber nur schwarzweißrote. {Juden dürfen die heilige andere nicht verkaufen} – []Natürlich, genügt mir – Wie groß? – Keineswegs zu groß. Bloß nicht so klein, daß es auffällt.)
20. Nov. Dienstag .
Nur bei französ. Kollegs bin ich in meinem Esse. 1 Das Italienische stopple ich zusammen ohne Grundkenntnisse. So heute wieder über die sicilian. Dichterschule. – Freude machen mir weder das franz. noch das ital. Kolleg. Die sechs Franzosen waren gestern schon vier, u. Italiener hab ich zwei. Wie lange noch?
Gesundheit sehr schlecht. Immer Herzbeschwerden, oft Migräne, zur Zeit wohl ein bißchen Grippe.
* Eva viel krank, dadurch vermehrte Hausarbeit. – * Voltaire noch immer nicht fertig.
Am Mittwoch (14. XI) die Vereidigung: Treue dem Führer u. Reichskanzler * A. H. Etwa 100 Leute; die zweite Gruppe. Bei der ersten Vereid. in den Ferien war ich nicht anwesend, in der Hoffnung, vielleicht ganz daran vorbei zu komen. Es hat nicht sollen sein. Die Ceremonie, kalt u. formell wie möglich dauerte keine zwei Minuten. Man sprach dem Rektor im Chor nach, der vorher heruntergehaspelt hatte: Sie schwören ewige Treue; ich bin verpflichtet, Sie auf die Heiligkeit des Eides aufmerksam zu machen. Und hinterher: []Sie
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