Klingenfieber: Roman (German Edition)
fast. Das Wissen, dass auch der dritte nun tot und krumm im Moos lag, verlieh ihr das Bewusstsein von Unbezwingbarkeit. Das Bewusstsein von Unbezwingbarkeit war unabdingbar für einen Kampf gegen so viele Gegner.
Sie pustete, wie gegen eine Sporenblume.
Dann vollführte sie ein Muster, das Neeva erfunden hatte: das Schwert nach rechts oben, die Klinge erst waagerecht nach links gehalten, dann es aufwärts drehen im Handgelenk, es diagonal nach links unten ziehen, und von dort aus wieder waagerecht nach rechts. Fast wie ein großes Z, nur der obere Balken war keine Bewegung, sondern nur Klinge. Der letzte Waldmann dieser Gruppe stürzte, weil sein Körper in sich verrutschte.
Sie wandte sich ab und rannte. Einen weiteren Waldmann sah sie noch, aber der war jetzt ein Umweg. Zur Kutsche. Nur noch zur Kutsche.
Sie übersprang einen Busch und landete im vorderen Bereich des Gespanns auf dem Weg. Erneut scheuten die Pferde vor ihr, und Elirou musste sie bändigen.
Stenrei stand noch. Sie war wirklich überrascht, ihn stehen zu sehen.
Er stand da, das Schwert in der Hand, die Spitze des Schwertes im Körper eines Gegners, der ebenfalls noch stand, aber langsam, zitternd, in die Knie sackte. Stenreis Gesicht zeigte nacktes Grauen. Sein Atem hörte sich wie das Lungenpfeifen sehr alter Männer an.
Sie wusste, was er gerade durchmachte.
Dies war sein erster Tod.
Am anderen Ende seiner Waffe starb jemand. Er konnte das Zittern spüren, die Wärme, die verrann, das Gewicht, das leichter zu werden schien. Den Blick. Dieser Blick musste furchtbar sein, wenn man nicht von einem Ungeheuer wie Ugon Fahus ausgebildet worden war.
»Fahr los!«, sagte sie zu Elirou, die immer noch auf dem Kutschbock saß und die Pferde zusammenhielt, das mutige Mädchen.
»Aber …«
»Fahr los! Jetzt!«
Erenis umrundete die Kutsche. Stenrei hatte nur diesen einen Gegner gehabt und ihn bezwungen. Ob durch Glück oder Geschick, das spielte keine Rolle. Auf der anderen Seite des Gefährts war ebenfalls ein Waldmann an die Kutsche herangekommen. Vom Bolzen des Grafen verfehlt, hing er jetzt mit dem Kopf im Fenster. Etwas war ihm widerfahren, denn er war nicht mehr am Leben, aber er hing fest, hatte sich mit dem Kinn am unteren Fensterrahmen verhakt. Erenis zerrte ihn weg. Sein Hals war unsauber durchschnitten. Aus dem Inneren der Kutsche roch es nach Blut und Erbrochenem. Jetzt ruckte das Gefährt an. Es dauerte etwas, bis die sechs Pferde miteinander in Schwung und Rhythmus kamen.
Erenis eilte hinten um die Kutsche herum zurück zu Stenrei. Der stand und zitterte, sein Gesicht ganz Mundwinkel des Elends. Ansonsten war er unverletzt.
Sie stieß den Sterbenden von Stenreis Schwert, zog Stenrei von der Tür weg, öffnete sie und drückte ihn hinein. Die Kutsche fuhr los. Erenis schlug die Tür hinter Stenrei zu, packte die oberen Verzierungen und zog sich hinauf, während das Gefährt bereits an Fahrt gewann.
Sie begab sich kauernd hinter die peitschende und schnalzende Dirne und achtete auf weitere Gegner, besonders von oben, aus den Bäumen, denn von dort musste der Mörder des Kutschers und der Angeheuerten gekommen sein. Aber es versuchte niemand mehr. Die Waldmänner blieben heute beutelos und mussten Verluste beklagen. Die Kutsche war zu schnell und hatte eine Klingentänzerin mit sich geführt.
Sie konnten nicht lange fahren. Aus den Wäldern hinaus, was etwa das Dreiviertel einer Stunde dauerte, und dann noch das Viertel einer Stunde weiter, um sich einigermaßen sicher fühlen zu können. Dann platzte alles aus der Kutsche. Verkroch sich, übergab sich weiterhin, umarmte sich, zitterte, redete durcheinander. Alle standen unter Schock.
Folgendes war passiert: Der Graf hatte an dem sich nähernden Waldmann vorbeigeschossen, und dieser war beinahe seelenruhig bis an die Kutsche herangekommen, hatte durchs Fenster gelangt und Männer und Frauen gleichermaßen befingert. Frau Carelamadon war in Ohnmacht gesunken, der Graf hatte sich ereifert, Herr Loso hatte ihm beigepflichtet, aber nichts gegen den Zudringling zu unternehmen gewagt. Gleichzeitig begann Stenrei seinen einsamen Kampf gegen einen zweiten Waldmann, der sich von seiner Seite näherte. So, wie er es schilderte, war es ein wildes, sehr männliches Gefecht gewesen, aber keiner von den Kutscheninsassen hatte es gesehen, und Erenis merkte, dass er furchtbar übertrieb. Mit Erleichterung jedoch verzeichnete sie, dass er schon wieder der Alte wurde, und dass es ihm langsam
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