Klingenfieber: Roman (German Edition)
behindert, sitzen wir hier fest und haben keine Möglichkeit mehr, aus diesem Wald rauszukommen. Ich würde lieber die Gruppe der uns Umzingelnden ausdünnen wollen, bevor wir einen Durchbruch versuchen. Ich glaube nicht, dass es sich um mehr als zwanzig Mann handelt.«
» Zwanzig Mann?« Stenreis Stimme klang wie im Stimmbruch. »Erenis, so, wie sich das anhörte, hat nur einer von denen drei von uns umgelegt. Ich fürchte, ich kann keinen einzigen von denen besiegen!«
»Es sind nicht mehr als zwanzig. Vielleicht sind es nur zehn, sehr gut gestaffelt. Wahrscheinlich aber eher fünfzehn. Lasst uns abwarten. Nicht mehr lange. Der Graf hat recht: Sie kommen. Ich kann Bewegungen sehen, ringsum. Sie sind wie … Sinnestäuschungen.«
»Wenn sie uns beschießen, sind wir hier oben gute Ziele«, sagte Elirou bang.
»Unsere Fernwaffensöldner haben sie auch nicht erschossen. Ich denke, höchstens die Pferde würden sie so angreifen, um sie zum Halten zu bringen. Bei uns Menschen jedoch suchen sie die Nähe. Die Begegnung. Den Kampf. Den können sie haben.« Hoffentlich sind es alles Männer , dachte sie, als sie vom Kutschendach glitt, nachdem sie Elirou noch einmal aufmunternd auf die Schulter geklopft hatte. Sie orientierte sich nach vorne, denn nur nach vorne konnten sie durchbrechen.
»Stenrei?«
»Ja, Erenis?«
»Du verteidigst die Kutsche.«
» Ich verteidige die Kutsche? Aber was machst du dann? Ich kann doch nicht an allen vier Seiten zugleich sein! Ich sagte doch, ich kann wahrscheinlich keinen einzigen von denen …«
»Auf der anderen Seite ist der Graf.«
»Ah, ja.«
Dass der Graf nur einen einzigen Bolzen aufgespannt hatte und wahrscheinlich viel zu schwächlich zum Nachladen war, verschwieg die Klingentänzerin dem Jungen lieber.
Sie ging an den Pferden vorbei. Die Tiere waren dermaßen panisch – möglicherweise rochen sie das Blut ihres Kutschers –, dass sie ohne das Bändigen der dicklichen Dirne sogar auf die Hinterhand gestiegen wären, um sich gegen Erenis zu wehren. Aber Elirou hielt die Tiere bei sich. Redete weiterhin im Singsang. Der Singsang begleitete Erenis. Kurz schloss Erenis sogar die Augen und atmete einfach nur.
Die Waldleute raschelten nicht, bewegten sich vollkommen sicher, und dennoch war dort, wo sie hintraten, jetzt etwas, wo vorher nichts gewesen war.
Sie waren spürbar.
Erenis tauchte nach links vorne in den Wald. Begab sich auf ihr Terrain. Das Schwert jetzt gezückt. An Geschwindigkeit gewinnend.
Alleine gegen mehrere war nicht das, was sie in den letzten Monaten geübt hatte, und dennoch war es ihr nicht unvertraut. In der Schule hatte mehrmals eine gegen die übrigen fünfzehn bestehen müssen. In einer Art Spießrutenlauf.
Sie hoffte, dass es nun nicht mehr als fünfzehn waren.
Aber wahrscheinlich würden fünf schon genügen. Fünf Gefallene. Die nicht mehr dort waren, wo vorher noch etwas gewesen war. Um eine Bresche zu erzeugen, durch die die Kutsche entkommen konnte.
Da war einer!
Sah sie kommen. Das mit dem Röhrchen vor seinem Bauch belustigte sie beinahe. Es war nur keine Zeit für Häme.
Der Gegner war klein, aber wendig. Zweimal schlug sie daneben, dann durchschaute sie seine Bewegungen, die fast wie ein Tanz waren. Wie der Balztanz eines Schreitvogels.
Sie erwischte ihn unter dem Kinn. Es sah aus, als würde sein Kopf zerplatzen. Und weiter.
Noch einer. Zu neugierig. Wollte schauen, was geschehen war. Nur noch einmal daneben. Diesen erwischte sie am Bauch, strich die Klinge wie an ihm vorbei, aber hindurch. Er war noch nicht tot, brach zusammen, gekrümmt wie eine grünliche Raupe, aber das war egal. Hier ging es nicht um Tode. Hier ging es um die Bresche.
Weiter.
Vor ihr: zwei.
Sie sahen aus wie der Wald selbst. Wie Gespenster. Oder wie Erinnerungen an Menschen. Die Geister der Getöteten, die, erregt wie Liebeskranke, vor ihr in die Höhe wuchsen. Erenis lächelte. Sie hatten Äxte. Keiner von ihnen hatte ein Blasrohr oder einen Bogen oder sonst etwas, womit man auf die Pferde schießen konnte. Aber sie wurde der Bresche jetzt untreu. Sie war Klingentänzerin. Ugon Fahus’ Schülerin. Sie hatte das Turnier gewonnen. Und das hier waren alles Männer. Männer, die sich ihres Waldes, ihrer Welt sicher wähnten. Die sich das Recht herausnahmen, Reisende, darunter Erenis, für sich zu beanspruchen.
Niemals wieder.
Sie sprang zwischen die beiden wie ein Raubvogel, der von oben zustößt. Der eine schlug zu, traf beinahe. Den anderen
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